Antizionismus

539 Euro für Finkelstein

Auch das ist Alltag im Westjordanland – Kinder vor einer Einkaufstraße. Foto: Flash 90

Hastig quetscht sich ein älteres Ehepaar durch den engen Türspalt. Und schon schließt der Einlasskontrolleur den Zugang zur »Ladengalerie« der linksradikalen Zeitung »Junge Welt«. Der Raum ist hoffnungslos überfüllt. Doch vor der Tür drängeln sich noch immer 50, 60 Menschen. Sie sind am vergangenen Freitag nach Berlin-Mitte gekommen, um ihn zu sehen: den umstrittenen amerikanischen Historiker Norman G. Finkelstein. Er soll an diesem Abend einen Vortrag über »Israel, Palästina und der Goldstone-Bericht über den Gazakrieg« halten. Mehr als 200 Zuhörer sitzen auf Stühlen, stehen seitlich an den Wänden, hocken auf dem Boden und nutzen selbst die kleinste Lücke, um sich so hinzustellen, dass sie die aufgebaute Videoleinwand sehen können. Mit Erzählungen von Reisen in den Nahen Osten stimmen sie sich auf eine Veranstaltung ein, bei der Israel ausschließlich Palästina genannt werden wird und auch sonst ziemlich schlecht dasteht.

Konserve Doch Finkelstein wird nicht kommen. Das wissen alle. Er wird nicht einmal live zugeschaltet werden. Nach heftiger Kritik im Vorfeld der Veranstaltung sagte der Israelkritiker und umstrittene Autor (Die Holocaust-Industrie) seine Deutschlandreise ab. Erst zog die Heinrich-Böll-Stiftung nach Protesten ihr Raumangebot zurück, dann die Rosa-Luxemburg-Stiftung, was wiederum Politikern der Linkspartei um Sahra Wagenknecht und Norman Paech missfiel. Schließlich bot die Junge Welt dem Veranstalter »Arbeitskreis Nahost« ihre Ladengalerie an.

Dort gibt es allerdings nur Konservenkost, und zwar den Videomitschnitt eines Vortrags, den Finkelstein am 23. Februar in Prag gehalten hat. Es ist stickig, alle starren wie gebannt auf die weiße Leinwand. Als die hohe, etwas brüchige Stimme Finkelsteins zu hören ist, wird es still im Raum. »Israel hat kein Recht auf Gaza«, sagt er in nüchternem Ton. Das Land müsse endlich anerkennen, dass jüdische Siedlungen illegal sind. »Illegal«, »ungerecht« – an solchen Wörtern finden die Zuhörer Gefallen. Der Sohn eines Schoaüberlebenden, der Israel heftig angeht – das kommt in der Ladengalerie gut an. Beifall für den Video-Mann.

kopfschütteln Auch Nida Bulbul klatscht. Der junge Journalist aus Gaza berichtet von seinen Arbeitsbedingungen – und zeigt ein Video: Explosionsrauch ist zu sehen, Schüsse sind zu hören, als Pressevertreter gekennzeichnete Menschen stürzen zu Boden und bleiben blutend liegen. Einige Zuhörer klammern sich verschreckt an ihre Jacken und schütteln den Kopf. Bulbul atmet tief durch und erzählt mit zitternder Stimme, wie schwer es für ihn sei, nach Gaza hinein- und wieder herauszukommen. Ein Mann Mitte 50 flüstert einer Frau neben sich zu: »Das gibt es doch gar nicht.« Eine rot-schwarz-grüne Kiste wird durch die Stuhlreihen gereicht. 20- und 50-Euro-Scheine verschwinden in dem Schlitz. »Halt the Massacre of the Palestine People« steht auf der Holzschachtel. Die 1,5 Millionen Menschen würden von Israel unterdrückt, heißt es immer wieder.

Auch Yahav Zohar sieht das so. Der Israeli ist Mitglied von ICAHD, einer Nichtregierungsorganisation, die gegen die Zerstörung von palästinensischen Häusern protestiert. »Deutschland und die EU verstoßen mit permanenten Waffenlieferungen gegen Menschenrechte«, sagt Zohar. »Man muss israelische Produkte boykottieren!« – eine Forderung, die dem Publikum gefällt. Lautstark wird applaudiert: ein israelkritischer Israeli, »der endlich mal das offen ausspricht, was in der Gesellschaft als Tabu gilt«, sagt ein Besucher. Es klingt erleichtert. Der Mann findet keine guten Worte für Israel, ist eher besorgt um die Zukunft der Palästinenser. Dass Finkelstein nicht gekommen ist, interessiert ihn kaum. Vielleicht ist der Historiker aus den USA ja ohnehin bald leibhaftig zu bewundern. Denn der Inhalt der Spendenkiste kommt nicht dem palästinensischen Volk zugute, sondern Finkelstein. 539,02 Euro wurden gespendet. Das reicht für ein Flugticket.

Nahost

Israel: Wir stehen kurz vor Abschluss des Einsatzes in Gaza

US-Präsident Donald Trump sagte jüngst, dass es bald im Gaza-Krieg eine Waffenruhe geben könnte. Auch Israels Verteidigungsminister Katz äußert sich nun optimistisch

 30.06.2025

Debatte

Anti-Israel-Parolen: USA entziehen britischer Band Visa

Ein britischer Festivalauftritt mit israelfeindlichen Parolen wird live von der BBC übertragen. Der Sender steht unter Druck – und die USA kündigen an, der Band die Einreise zu verweigern

 30.06.2025

Interview

Nuklearforscher: »Das iranische Atomprogramm neu aufzubauen wird Jahre dauern«

Georg Steinhauser über die israelischen und amerikanischen Schläge gegen Atomanlagen im Iran, die Eigenschaften von Uran-235 und mögliche Szenarien für die Zukunft

von Michael Thaidigsmann  30.06.2025

Israel

Früherer Geheimdienstchef der israelischen Armee: Jerusalem musste das Atomprogramm der Mullahs stoppen

Im Juni 1981 war Amos Yadlin an der Zerstörung von Saddam Husseins Kernreaktor beteiligt. Nun hat er ausführlich über Israels Präventivschlag gegen das Mullah-Regime und den angeblichen »Völkermord« in Gaza Auskunft gegeben

von Imanuel Marcus  30.06.2025 Aktualisiert

Drohung

Iranische Zeitung fordert Todesstrafe gegen IAEA-Chef Grossi

Das staatliche Propagandablatt wirft Rafael Grossi vor, für Israel spioniert zu haben

 30.06.2025

Düsseldorf

Islamistischer Tiktok-Star gesteht Spendenbetrug

Der Islamist »Abdelhamid« hat unter seinen Followern Spenden »für Palästina« gesammelt und diese dann unter anderem für einen BMW ausgegeben. Das gestand er nun vorm Düsseldorfer Landgericht

von Martin Höke  30.06.2025

Düsseldorf

NRW: Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen

Fast 700 Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert - ein Zuwachs von 27 Prozent

 30.06.2025

Uni Duisburg

Online-Mahnmal gegen Schändung jüdischer Friedhöfe gestartet

Die Universität Duisburg-Essen hat ein Online-Projekt zum Schutz jüdischer Friedhöfe vorgestellt. Grundlage dafür ist eine interaktive Karte

von Raphael Schlimbach  30.06.2025

Atomprogramm

Iran signalisiert Bereitschaft zu Verhandlungen

Nach den US-Angriffen auf iranische Nuklearanlagen wurden die Atomgespräche zunächst unterbrochen. Nun mehren sich Signale Teherans, an den Verhandlungstisch zurückzukehren - unter Bedingungen

 30.06.2025