Als im Frühjahr und Sommer 2014 in Deutschland skandiert wurde »Hamas, Hamas, Juden ins Gas« oder »Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein«, da gab es keine Stelle, die Antisemitismus erfasste. Zu den ganzen Vorfällen auf Demonstrationen kamen zahlreiche Angriffe, und die Betroffenen hatten keine Möglichkeiten, diese zu melden.
Aus dieser Situation heraus gründete sich die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), die parteilich ist und sich an den Bedürfnissen und Wahrnehmungen der Betroffenen, ihrer Angehörigen oder der Zeugen orientiert, so ihre Selbstdarstellung.
Als Beauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegen Antisemitismus begleite ich die Arbeit von RIAS von Anfang an. Dabei war der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses unerlässlich, denn viel zu oft mussten Gemeindemitglieder erleben, dass Antisemitismus-Erfahrungen relativiert, bagatellisiert oder gar negiert wurden. RIAS war die erste Stelle außerhalb der Jüdischen Gemeinde, wo unsere Menschen sich ernst genommen fühlen.
Die niederschwellige Erfassung ist hierbei besonders wichtig. RIAS schafft auch die Transparenz, die notwendig ist, um gegen Antisemitismus vorzugehen, nicht nur für die Juden, sondern für die offene, liberale, tolerante und demokratische Gesellschaft. Wie schwer das ist, hat der vor wenigen Tagen veröffentlichte Jahresbericht von RIAS Berlin gezeigt, der einen traurigen Rekord von über 2500 antisemitische Vorfälle feststellen muss.
»Der israelbezogene Antisemitismus ist die Umwegkommunikation, mit der man seinen Judenhass in einer Form ausdrücken kann, die sozial akzeptiert wird.«
Doch jetzt haben taz und andere Medien nichts Besseres zu tun, als die Arbeit von RIAS zu diskreditieren. Dazu zitieren sie eine Studie des Journalisten Itay Mashiach, der, kurz zusammengefasst, RIAS vorwirft, den israelbezogenen Antisemitismus überzubewerten und den der extremen Rechten zu vernachlässigen.
Fakt ist aber: Der israelbezogene Antisemitismus ist die Umwegkommunikation, mit der man seinen Judenhass in einer Form ausdrücken kann, die sozial akzeptiert wird. Juden werden tagtäglich mit Israelhass (nicht Kritik an der israelischen Regierung) konfrontiert. Vielleicht hätte der Autor mal einen Blick in die verschiedenen empirischen Erhebungen, zum Beispiel den Berlin-Monitor 2019, werfen sollen, die genau dies bestätigen.
Wieder einmal bestätigen sich Tucholskys Worte: »Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.« Man bewirft diejenigen mit Dreck, die Antisemitismus sichtbar machen, und exkulpiert gleichzeitig Judenhasser. Die Antisemitismus-Erfahrungen, die Juden machen, werden somit negiert.
Der Autor ist Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.