Meinung

Schuld sind immer die anderen

Sabine Brandes Foto: privat

Meinung

Schuld sind immer die anderen

Nicht die Opfer, nicht die Geiseln in Gaza bringen Benjamin Netanjahu um den Schlaf, sondern die Sorge um sein politisches Überleben

von Sabine Brandes  06.11.2023 00:31 Uhr

Er selbst stellte die Regel auf – und brach sie als Erster. »Nach dem Krieg« müsse jeder Antworten geben, was alles schiefgelaufen sei, so Benjamin Netanjahu. Drei Wochen (!) nach der größten Katastrophe in der Geschichte Israels wollte sich Premierminister Benjamin Netanjahu der Öffentlichkeit stellen und Fragen beantworten. Zumindest hatte er das angekündigt. Doch wer erwartete, dass der Verantwortliche im Land Verantwortung übernimmt, irrte sich.

Oder er kennt Netanjahu schlecht. Denn schuld sind immer die anderen. Dabei meinen Umfragen zufolge 80 Prozent der Israelis, dass der Premier sehr wohl verantwortlich sei für das Desaster vom 7. Oktober. Statt sein Amt zumindest in den dunkelsten Stunden mit Verantwortungsbewusstsein zu füllen, reihte er eine Plattitüde an die nächste und tat das, was er wirklich fühlt, um 1.10 Uhr nachts bei X kund: Armee und Geheimdienste trügen die Schuld, denn er sei ahnungslos gewesen.

Nicht die Opfer, nicht die Geiseln in Gaza bringen ihn um den Schlaf, sondern die Sorge um sein politisches Überleben. Niemand dürfe ihm derzeit das Vertrauen entziehen, verlangte er, denn »Israel ist im Krieg«. Und schreibt auf seiner Tastatur in sicherer Entfernung von der Front der Armeeführung und auch den Soldaten, die ihr Leben riskieren, die Moral kaputt. Sogar einer seiner Vertrauten, Ex-Mossad-Chef Yossi Cohen, entrüstete sich: »Verantwortung beginnt nicht mittendrin. Sie beginnt, wenn man das Amt übernimmt.«

Erst nach empörten Rufen aus seinem Kriegskabinett und der Opposition löschte Netanjahu den Tweet und ersetzte ihn durch eine Entschuldigung. »Ich lag falsch…« Es ist nicht das Einzige, wobei sich Netanjahu, der nach eigenen Aussagen Israel weiter in die Zukunft führen will, verkalkuliert. Das Vertrauen der Bevölkerung in seine Koalition aus Likud, rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien liegt derzeit bei 14 Prozent. Eine Schlussfolgerung braucht es nicht, die Zahlen sprechen für sich.

Sabine Brandes ist Israel-Korrespondentin der Jüdischen Allgemeinen.

Manifest zur Außenpolitik

Gilt das Versprechen der SPD auch für ukrainische Kinder?

Unser Gastautor wurde in der Ukraine geboren und ist Jude. Seit vielen Jahren ist er SPD-Mitglied. Das neue Manifest einiger Altvorderer zur Außenpolitik macht ihn wütend

von Igor Matviyets  13.06.2025

Meinung

Die Menschen im Iran sind Israel dankbar

Der jüdische Staat hat durch seine Luftangriffe den Iranern die Chance gegeben, die islamistische Diktatur in Teheran endlich loszuwerden. Das ist eine historische Gelegenheit

von Saba Farzan  13.06.2025

Schlag gegen Iran

Ein notwendiger Schritt

Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zu wehren. Teheran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  13.06.2025

Meinung

Präventivschlag gegen eine existenzielle Bedrohung

Irans Atomprogramm verfolgt keine friedlichen Ziele. Nach dem Scheitern der diplomatischen Bemühungen ist Israels Angriff gerechtfertigt

von Ulrike Becker  13.06.2025

Meinung

Warum Israel die Ukraine jetzt offen militärisch unterstützt

Die Ukraine nutzt nun auch Waffensysteme aus israelischen Beständen. Der Hintergrund für die veränderte Politik Jerusalems ist eine Machtverschiebung in Nahost

von Saba Farzan  12.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  11.06.2025 Aktualisiert

Kommentar

Der Unabhängige

Der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis ist nach Israel und ins Westjordanland gereist, um sich eine eigene Meinung über die humanitäre Hilfe in der Region zu bilden

von Nicole Dreyfus  11.06.2025

Meinung

Jewrovision: einfach jung und jüdisch sein

Junge Jüdinnen und Juden sind alltäglich Anfeindungen ausgesetzt. Für sie ist die Jewrovision ein Safe Space

von Katrin Richter  11.06.2025

Meinung

Grüne Jugend: Vertrauen verloren

Die jüngsten Aussagen der Co-Vorsitzenden Jette Nietzard zu Nahost waren ein Fehltritt zu viel. Die Grüne Jugend braucht einen personellen Neuanfang

von Ron Dekel  11.06.2025