Martin Krauß

Reportage und Realität

Der Fall Claas Relotius zeigt nicht die Macht einer »Lügenpresse«, sondern wie Propaganda über »Fake News« funktioniert

 04.01.2019 09:32 Uhr

Martin Krauß Foto: Chris Hartung

Der Fall Claas Relotius zeigt nicht die Macht einer »Lügenpresse«, sondern wie Propaganda über »Fake News« funktioniert

 04.01.2019 09:32 Uhr

Vielleicht ist das Problem des jüngsten Journalismusskandals in diesem Land, dass es Name und Adresse hat: Claas Relotius, 33, bis neulich noch Redakteur des »Spiegel«. Bekanntlich hat der Reporter Storys erfunden, Gesprächspartner erfunden, Zitate erfunden – und betrogen. Wenn all dies nur Fall und Absturz dieses einen Mannes wäre, das Problem wäre keines: Bemerkenswert viele Menschen haben seine Reportagen gar nicht gelesen. Dann würde dieser Fall nur zeigen, wie unbedeutend die Medienblase ist und wie leicht man sie bescheißen kann.

Man müsste nämlich nur das schreiben, was erwartet wird. Relotius erfand keine Sensationen, sondern reproduzierte Vorurteile. Er bediente damit die im Journalismus verbreitete Vorstellung, man könne schwierige Themen kurz, knapp und verdichtet erzählen: Ich, Reporter, weiß, wie es wirklich war, und was du, Leser, doch auch immer wusstest.

system Relotius hatte den syrischen Bürgerkrieg erzählt, als kämpfte ein kleiner Junge gegen den bösen Diktator. Relotius hatte der letzten Überlebenden der »Weißen Rose« Sätze in den Mund gelegt, wie sich viele die Verurteilung von Rechtspopulismus vorstellen, am besten aus dem Munde einer 99-jährigen Dame. Auch dpa prüft, ob Relotius Texte, die er für sie aus Israel schrieb, erfunden oder gefälscht hat. Für das »System Relotius« wäre der Nahostkonflikt ein dankbares Thema: einfach behaupten, was die Leute glauben.

Die Texte, die Relotius im »Spiegel« und anderen Blättern untergebracht hat, sind keine Belege für die Macht einer »Lügenpresse«, sondern sie zeigen, wie Propaganda über »Fake News« funktioniert: im Sammeln und notfalls im Erfinden von Details, die vor allem das eigene Vorurteil, die eigene Sicht auf die Welt stützen. Es ist die Hybris, selbst alles zu wissen, gemischt mit der Feigheit, den Leuten nach dem Munde zu schreiben.

Meinung

Die Jüdischen Gemeinden müssen nachhaltiger werden

Auch die jüdische Gemeinschaft ist in der Pflicht, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen

von Nathalia Schomerus  17.03.2023

Einspruch

Rechtsextreme als Schöffen verhindern

Doron Rubin plädiert dafür, die Verfassungstreue von Schöffen gesetzlich zu verankern

von Doron Rubin  17.03.2023

Lamya Kaddor

Tödlicher Antijudaismus

Die menschenverachtende und antisemitische Ideologie des Hamburg-Attentäters war bekannt. Hätte der Amoklauf verhindert werden können?

von Lamya Kaddor  14.03.2023

Ruben Gerczikow

Sportvereine: Kein Handschlag mit Nazis

Die Mär vom unpolitischen Sport muss endlich grundsätzlich hinterfragt werden

von Ruben Gerczikow  10.03.2023

Meinung

Die Hoffnung nicht verlieren

Unsere Redakteurin sorgt sich wegen der Justizreform um Israels Zukunft – und will gerade deshalb den Kontakt nicht abreißen lassen

von Ayala Goldmann  07.03.2023

Hajo Funke

Ein Mittel der Holocaust-Leugnung

Der Inhalt der gefälschten Hitler-Tagebücher wurde erst jetzt rekonstruiert und veröffentlicht – sie offenbaren einen Abgrund an Verzerrung, Geschichtsklitterung und Dreistigkeit

von Hajo Funke  03.03.2023

Aras-Nathan Keul

Symbol einer verfehlten Iran-Politik

Das Islamische Zentrum Hamburg ist laut Verfassungsschutz ein Außenposten der Islamischen Republik – und konnte sich dennoch auf der Leipziger Buchmesse für einen Stand anmelden

von Aras-Nathan Keul  03.03.2023

Meinung

Ethisch und moralisch am Ende

Die Reaktion von Rabbiner Walter Homolka auf das Urteil des Landgerichts Berlin lässt einmal mehr tief blicken

von Philipp Peyman Engel  01.03.2023

Reinhard Schramm

Maaßen, Prien und die CDU

Wie führende Parteimitglieder im Süden Thüringens den Spieß umdrehen und dabei der Partei Schaden zufügen könnten

von Reinhard Schramm  27.02.2023