Meinung

O Tannenbaum

Ayala Goldmann, Redakteurin Feuilleton Foto: Ayala Goldmann

Meinung

O Tannenbaum

Unsere Redakteurin Ayala Goldmann versteht nicht, warum die Charité in Berlin ein Problem mit einem Chanukkaleuchter hat

von Ayala Goldmann  12.12.2023 15:00 Uhr

Ist der Weihnachtsbaum ein »Symbol für die weihnachtliche Friedensbotschaft über die Grenzen der Religionen hinweg«? Das zumindest behauptet die Charité, das traditionsreichste Krankenhaus Berlins, und begründet mit ihrem »Neutralitätsgebot«, warum kein Chanukkaleuchter auf dem Gelände stehen darf, aber ein Tannenbaum. Damit lehnte die Klinikleitung einen Antrag der jüdischen Hochschulgruppe ab, die in diesem Jahr zum ersten Mal eine Chanukkia aufstellen wollte.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Doch was hat der Nadelbaum wirklich mit der Weihnachtsbotschaft zu tun? Schon zu römischen Zeiten wurde damit ein Sonnengott verehrt. Andere Völker hängten Tannenzweige auf, um böse Geister abzuschrecken. In Mitteleuropa wurde der Christbaum samt geblasener Glaskugeln erst im 19. Jahrhundert richtig populär.

Die Makkabäerbücher I und II mit ihrer Geschichte vom Kampf gegen die Seleukiden und der Wiedereinweihung des jüdischen Tempels in Jerusalem gehören hingegen seit vielen Jahrhunderten zum katholischen Bibelkanon – der Kritik der Reformatoren zum Trotz.

Was hat der Nadelbaum wirklich mit der Weihnachtsbotschaft zu tun?

Aber um solche Feinheiten geht es bei der Auseinandersetzung um die Chanukkia in der Charité natürlich nicht. Die Universitätsklinik will nur Ärger vermeiden – möglicherweise auch, weil andere Chanukkaleuchter in Berlin mittlerweile beschädigt oder zerstört wurden. Sie will offenbar keinen Stress mit muslimischen Patienten und Besuchern, die sich durch die Chanukkia gestört fühlen könnten. Und natürlich auch keinen Streit um andere religiöse Symbole.

Doch warum wäre der Leuchter der Studenten denn so ein großes Problem? Im Judentum ist die Chanukkia ein Symbol für die Bewahrung der jüdischen Religion und Tradition. Sie ist kein Symbol für Krieg. Im Talmud ist von einem »Ölwunder« die Rede – der Ölkrug, der im jüdischen Tempel  brannte, hätte für einen Tag gereicht und reichte schließlich für acht Tage. Wer einen achtarmigen Leuchter aufstellt, bezieht keine Stellung gegen palästinensische Zivilisten in Gaza und will auch nicht den Dritten Tempel in Jerusalem errichten.

Wer eine Chanukkia aufstellt, bezieht keine Stellung gegen palästinensische Zivilisten in Gaza und will auch nicht den Dritten Tempel errichten.

Nein, das öffentliche Zünden der Chanukkia in der Charité könnte nur ein bisschen Hoffnung spenden in einer Zeit, in der viele Juden zögern, ob sie ihre Leuchter überhaupt noch aufs Fensterbrett stellen sollen. Denn nach dem Massaker des 7. Oktober in Israel wurden Jüdinnen und Juden weltweit angegriffen – auch eine Synagoge in Berlin-Mitte, gar nicht so weit entfernt von dem Krankenhaus.

Schön wäre es, wenn die Charité (das französische Wort bedeutet »Nächstenliebe« oder »Barmherzigkeit«) doch noch über ihren Schatten springen und ein öffentliches Zeichen der Solidarität mit der bedrängten jüdischen Community setzen würde, die ein schwieriges Chanukkafest feiert. Bis Donnerstagabend ist noch Zeit. Sonst bleibt es eben bei dem heidnischen Tannenbaum und einer »Friedensbotschaft«, die sehr, sehr lau und kein bisschen überzeugend daherkommt.

Meinung

Die Schweiz als Ausweichort: Ein Lehrstück über den Umgang mit kontroversen Positionen

Linke Intellektuelle verbreiteten auf einer Tagung anti-israelische Verschwörungstheorien. Die Veranstaltung zeigt, warum wir den offenen, präzisen Diskurs gegen jene verteidigen müssen, die Wissenschaftlichkeit als Tarnkappe missbrauchen

von Zsolt Balkanyi-Guery  12.12.2025

Meinung

Nemo unverbesserlich

Nemo gibt mit Rückgabe der ESC-Siegertrophäe auch Haltung ab. Statt Rückgrat zu zeigen, schwimmt das Schweizer Gesangswunder von 2024 im postkolonialen Strom mit

von Nicole Dreyfus  12.12.2025

Andrea Kiewel

Ein Weltwunder namens Regen

Jedes Jahr im Dezember versetzt der Regen die Menschen in Israel in Panik - dabei ist er so vorhersehbar wie Chanukka

von Andrea Kiewel  11.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Eurovision: Mobbing statt Musik

Eigentlich versteht jeder, dass Musiker nicht mit ihren Regierungen identisch sind. Wenn es um den jüdischen Staat geht, scheint diese Logik jedoch nicht zu gelten

von Sabine Brandes  07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Meinung

Zurück ins Mittelalter?

Die israelische Regierung will die Todesstrafe wieder einführen. Das ist geschichtsvergessen und verblendet

von Sophie Albers Ben Chamo  04.12.2025

Meinung

Wagenknechts Schiffbruch

Nur etwa zwei Jahre nach seiner Gründung steht das BSW vorm endgültigen Scheitern – eine gute Nachricht! Dennoch bleibt ein übler Nachgeschmack

von Ralf Balke  04.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025