Eines muss man Nemo lassen: Das Schweizer Gesangstalent, das 2024 den Eurovision Songcontest (ESC) für sich entschieden und ein Jahr später nach Basel gebracht hat, versteht es ausgezeichnet, am meisten von sich reden zu lassen, wenn es niemand mehr tut. Eine PR-Strategie, die offensichtlich ihren Zweck erfüllt. Nemo ist wieder in aller Munde, alle Zeitungen schreiben über Nemo. Aber war es wirklich nur eine PR-Aktion, mit zwei Posts auf Instagram die Rückgabe der ESC-Siegertrophäe anzukündigen? Oder ist gezielter Judenhass federleicht und glitzernd verpackt in Israelkritik?
Nemo spricht in seinen Statements davon, dass der Wettbewerb wiederholt dazu genutzt wurde, »das Image eines Staates zu beschönigen, dem schwerwiegendes Fehlverhalten vorgeworfen wird, während die EBU darauf bestand, dass die Eurovision unpolitisch sei. Und wenn Teilnehmerländer sich aufgrund dieses Widerspruchs zurückziehen, sollte klar sein, dass etwas grundlegend falsch läuft.«
Damit spielt Nemo auf die mittlerweile fünf Länder an, die auf ihre Teilnahme am kommenden ESC verzichten. Island, Spanien, Slowenien, Irland und die Niederlande setzen eine Runde aus. Die Schweiz hat sich nicht zurückgezogen, stattdessen tut es Nemo im Alleingang. Das ist alles verkraftbar.
Ist es gezielter Judenhass federleicht und glitzernd verpackt in Israelkritik?
Weniger auf die leichte Schulter zu nehmen, sind Nemos Aussagen über die Werte, an einem Musikwettbewerb wie dem ESC vertreten werden sollen: »Eurovision steht für Einheit, Inklusion und Würde.« Wie Nemo sagt, alles Werte, die diesen Wettbewerb sinnvoll machen würden. Dabei entlarvt sich Nemo selbst: Mit dieser Art von Aktionen wird nicht nur ein kulturelles Ereignis politisch überfrachtet, sondern auch der demokratische Grundgedanke des Austauschs und der Aushandlung unterschiedlicher Positionen unterlaufen.
Wer den Dialog verweigert und stattdessen mit symbolischen Gesten ultimativ auftreten möchte, entzieht sich der pluralistischen Debatte, die Demokratie im Kern ausmacht. Die Rückgabe des Pokals ist damit weniger ein konstruktiver Beitrag als vielmehr ein moralisches Machtmittel, das anderen Sichtweisen implizit die Legitimität abspricht. Am Ende stärkt das nicht die Werte, auf die sich Nemo beruft, sondern schwächt sie – weil es nicht um Verständigung geht, sondern um die Setzung eigener politischer Deutungen als einzig zulässige Wahrheit.
Nemo rührt mit der ganz großen politischen Kelle, begibt sich auf die Bühne der Gutmenschen und spricht von Völkermord, den Vereinten Nationen und den Entscheidungen der Europäischen Rundfunkunion (EBU) als wären sie die Ingredienzen für Frieden. Ein netter Versuch, sich als eine Person darzustellen, die sich offenbar auf die richtige Seite der Geschichte begeben hat. Nemo erntet dafür tosenden Applaus bzw. unzählige Herzchen und Klatschsymbole auf Social Media. Das mag für Nemo ein Erfolg sein, dessen Name schön vor Weihnachten für Clickbait sorgt. Auswirkungen auf Nemos Leben und Alltag haben seine Aussagen und noch weniger die Rückgabe der Trophäe allerdings kaum.
In ein paar Tagen wird der Sturm über die Lande gezogen sein. Doch denkt Nemo daran, dass es in Europa Jüdinnen und Juden gibt, die genau wegen dieser Art von Kommentaren und Aktionen sich immer unwohler fühlen, sei es in Frankreich, Deutschland, England oder in der Schweiz? Kaum.
Dass das Genozid-Narrativ ein Schleusen-Öffner für Antisemitismus ist, der dafür sorgt, dass jüdischen Menschen der Rückhalt in der breiten Gesellschaft zunehmend fehlt. Auch kaum. Nemo hat sich lediglich dazu entschieden, den ESC-Pokal zurückzuschicken. Nemo braucht ihn nicht mehr. Und der ESC braucht keine Teilnehmende, die dem Antisemitismus Nährboden liefern.
dreyfus@juedische-allgemeine.de