Kommentar

Macron und die Palästinafrage: Durchquerung der Wüste

Will im September offiziell einen Palästinenserstaat anerkennen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Foto: IMAGO/ZUMA Wire

Am Abend des 24. Juli, als viele Franzosen gerade die Zusammenfassung der Tour de France im Fernsehen verfolgten oder ihre Koffer für den Urlaub packten, verkündete Emmanuel Macron ihnen eine wichtige Nachricht.

»Getreu seinem historischen Engagement für einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten« habe er beschlossen, schrieb der Präsident auf seinen X- und Instagram-Accounts pompös, »dass Frankreich den Staat Palästina anerkennen wird«. Vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen wolle er diesen Schritt im September feierlich verkünden, sagte Macron.

Vorbedingungen für einen solchen Schritt gibt es nun keine mehr. Im Juni hatte Macron noch gefordert, dass zuvor oder zeitgleich die Freilassung aller israelischen Geiseln, die vollständige Entmilitarisierung der Hamas, der Ausschluss der Hamas von jeglicher Regierungsbeteiligung, eine tiefgreifende Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde, die gegenseitige Anerkennung Israels und Palästinas sowie die Anerkennung des Rechts Israels auf Frieden und Sicherheit erfolgen müsse.

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Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Der Präsident hat seine eigenen Aussagen längst vergessen, ebenso wie seine Erklärung vom 25. Oktober 2023, als er zur Bildung einer internationalen Koalition gegen die Hamas aufrief. Schnee von gestern.

Seit mehreren Monaten schon attackiert der Präsident Israel, seine Rhetorik wird immer heftiger. Regelmäßig kündigt er seitdem auch seine Bereitschaft an, einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen. Ursprünglich wollte er am 18. Juni eine Konferenz bei den Vereinten Nationen einberufen. Ausgerechnet am 18. Juni, für Frankreich ein historisches Datum, denn am 18. Juni 1940 rief General de Gaulle die Franzosen von London aus dazu auf, gegen Nazi-Deutschland zu kämpfen. Macron war es offenbar egal.

Macron ist unpopulär

Doch der Krieg zwischen dem Iran und Israel durchkreuzte die Pläne. Macrons Konferenz musste verschoben werden. Der Präsident zögerte nicht, seinen Amtskollegen Donald Trump für die Militäraktion zu verurteilen: Die amerikanischen Luftschläge gegen den Iran nannte er illegal. Ob er wohl auch über die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 so denkt?

Viele fragen sich: Warum ist Emmanuel Macron, der seit der Auflösung der Nationalversammlung vor über einem Jahr doch weitgehend die Kontrolle über die französische Innenpolitik verloren hat, ausgerechnet in puncto Palästinenserstaat so hartnäckig?

Am Ende ist es wahrscheinlich ganz einfach: Er ist unbeliebt. In einer Meinungsumfrage bekam Macrons Politik zuletzt nur noch die Zustimmung von 19 Prozent der Befragten. Der Präsident hat seine Franzosen enttäuscht. Zum einen durch seine Unfähigkeit, die Sicherheit und Ordnung im Land herzustellen und die katastrophale wirtschaftliche Lage zu stabilisieren. Zum anderen auch in der Außenpolitik. So hat Macron bislang nicht die Freilassung der französischen Geiseln in Algerien und im Iran erreichen können.

Dass ihm in Frankreich kaum noch jemand vertraut, liegt auch daran, dass er seine Meinung zu vielen Themen ständig ändert. Für viele Franzosen hat er einfach nicht das Format eines großen Staatsmannes.

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Nun pocht Macron darauf, Palästina möglichst schnell anzuerkennen. Da er innenpolitisch wenig ausrichten kann, versucht er, sich auf der internationalen Bühne zu profilieren. Sicher freut er sich schon darauf, im September bei den Vereinten Nationen von den Vertretern zahlreicher diktatorisch regierter Länder mit Standing Ovations bedacht zu werden.

Gleichzeitig – ein Wort, dass er selbst gerne verwendet – will Macron einem Teil der französischen Bevölkerung, vor allem dem muslimischen und seinen linksradikalen Verbündeten, Zucker geben. Ob er damit einen Beitrag leistet, dass die antisemitischen Gewalttaten in Frankreich abnehmen, darf aber getrost bezweifelt werden.

Frankreichs Juden denken über ihre Zukunft nach

Einmal mehr stellt sich Macron gegen die öffentliche Meinung. Laut einer IFOP/CRIF-Umfrage lehnen 78 Prozent der Franzosen eine »sofortige und bedingungslose« Anerkennung eines palästinensischen Staates ab.

Frankreichs Juden sind niedergeschlagen von dem, was viele von ihnen als neuen Verrat betrachten. Sie verzeihen es Macron auch nicht, dass er am 12. November 2023 nicht an der großen Demonstration gegen Antisemitismus in Paris teilnehmen wollte. Und auch nicht, dass er angesichts der dramatischen Zunahme antisemitischer Übergriffe nicht oder nur halbherzig durchgegriffen hat. Das Vertrauen in den Präsidenten ist weg. Frankreichs Juden stellen sich einmal mehr Fragen nach ihrer Zukunft.

2018, zu Beginn seiner Präsidentschaft, empfahl Macron einem arbeitslosen Gärtner, er müsse nur die Straße überqueren, um einen neuen Job zu finden. Damit der französische Präsident seine palästinensische Obsession weiter pflegen kann, wird er selbst wohl die Wüste überqueren müssen. Ob es ihm bis zum Ende seiner Amtszeit im Frühjahr 2027 gelingt? Zweifel sind auch hier erlaubt.

Der Autor ist Journalist und Buchautor. Fast 20 Jahre lang war er Geschäftsführer des CRIF, des Dachverbands der französischen jüdischen Organisationen.

Übersetzung: Michael Thaidigsmann

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