Frankreich

Linker und islamistischer Hass treibt Juden in die Enge

»Es ist kein Einzelfall, dass jungen Frauen die Kette mit dem Davidstern vom Hals gerissen wird«: Ute Cohen Foto: Raimar von Wienskowski

Der Krieg der Hamas gegen die Juden ist längst auf dem europäischen Kontinent angekommen. Seit den Massakern des 7. Oktober 2023 haben sich die antisemitischen Straftaten in Frankreich, dem Land mit der größten jüdischen Gemeinschaft in Europa, mindestens verdreifacht. Beleidigungen und Drohungen sind für viele Juden an der Tagesordnung. Der Nahost-Konflikt wird instrumentalisiert von Demagogen, die auf eine Zerstörung westlicher Gesellschaften abzielen. Und Feindbild ist – mal wieder - der Jude.

Eine neue Dimension aber gewinnt der Antisemitismus durch Taten, die von den Verbrechen der Hamas inspiriert scheinen. Die Bilder geschundener Frauen haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, wirken unfassbarerweise jedoch nicht für alle in gleichem Maße abschreckend. Eine von islamistischen Influencern indoktrinierte und von einer frauenfeindlichen Ideologie aufgepeitschte muslimische Jugend richtet ihren Hass in jüngster Zeit verstärkt auch gegen Jüdinnen.

»Dreckige Jüdin! Geh sterben!«

Es ist kein Einzelfall, dass jungen Frauen die Kette mit dem Davidstern vom Hals gerissen wird, dass sie verfolgt werden, sobald sie abends aus der Métro steigen, dass ihnen unvermittelt an der Universität aufgelauert wird. Die Stalker und Aggressoren machen Namen von Studentinnen ausfindig und schleudern jungen Frauen »Dreckige Jüdin! Geh sterben!« entgegen. Mitte Juni wurde ein zwölfjähriges Mädchen in der westlich von Paris gelegenen Stadt Courbevoie von Jugendlichen bedroht und vergewaltigt, offensichtlich weil sie Jüdin ist.

Vergewaltigung, ausgeübt von Minderjährigen an Minderjährigen aufgrund eines anderen Glaubens, ist ein so ungewöhnliches und gefährliches Phänomen, dass nach den Ursachen geforscht werden muss – auch wenn die Analyse sozialer Spannungen von politischer Seite oftmals instrumentalisiert wird.

Politische Instrumentalisierung einer Vergewaltigung

Der Linken-Politiker Jean-Luc Mélenchon, dessen Partei La France Insoumise zu den Gewinnern der jüngsten Wahl gehört, versuchte, die Vergewaltigung als Ergebnis toxischer Maskulinität und Unterart von Rassismus zu framen. Auf der Plattform X sprach er von »antisemitischem Rassismus« und der »Konditionierung männlichen Verhaltens von Kindesbeinen an«; lenkte aber ab von einem möglichen islamistischen Motiv der Täter und der kulturellen Verankerung von Antisemitismus bei jungen Muslimen.

Marine Le Pen von der rechten Rassemblement National wiederum machte die Linke verantwortlich für die Stigmatisierung der Juden und eine Bedrohung des sozialen Friedens. Präsident Emmanuel Macron wartete mit pädagogischen Sofortmaßnahmen auf und ordnete einen »Austausch über Antisemitismus und Rassismus« an den Schulen an.

Das Opfer wird diskreditiert, Täter-Opfer-Umkehr praktiziert. Stillschweigen herrscht bei französischen Feministinnen.

Die Kluft, die Frankreich seit Jahren zerreißt, liegt offen. Neben Solidaritätskundgebungen für das Vergewaltigungsopfer und die jüdische Gemeinde gibt es zahlreiche Stimmen, die das Sexualverbrechen leugnen und eine antisemitische Konnotation in Zweifel ziehen. Das Opfer wird diskreditiert, Täter-Opfer-Umkehr praktiziert. Stillschweigen herrscht bei französischen Feministinnen, wie schon zur sexuellen Gewalt der Hamas am 7. Oktober in Israel.

Wahl zwischen Pest und Cholera

Die Wahl sei eine »zwischen Pest und Cholera«, zitierte die Deutsche Welle Lyons Oberrabbiner Daniel Dahan. Mit Blick auf das linke Parteienbündnis Nouveau Front Populaire und den Rassemblement Nationale empfahl er Frankreichs Juden, nach Israel auszuwandern.

Und viele haben das auch vor. Mehr als 2000 Anfragen zur Alija habe es in den ersten drei Tagen nach der Wahl am 7. Juni gegeben, meldet das französisch-israelische Portal LHP Info unter Bezug auf die französische Dependance der Jewish Agency. Man erwarte eine Auswanderungswelle.

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