Sergey Lagodinsky

Jüdische Zuwanderung als Verpflichtung

Sergey Lagodinsky Foto: Gregor Zielke

Sergey Lagodinsky

Jüdische Zuwanderung als Verpflichtung

Eine Lösung finden wir nur im Gespräch, nicht in Erinnerungsritualen

von Sergey Lagodinsky  03.09.2020 10:24 Uhr

Die Nachricht darüber, dass 30 jüdische Zuwanderer aus Russland und Belarus coronabedingt nicht nach Deutschland einreisen dürfen, wäre nur einer unter vielen Berichten über persönliche Rückschläge in Zeiten der Epidemie – wäre da nicht ein mittlerweile traditionelles Muster der deutschen Politik: alles für Rituale, wenig für lebende Individuen.

Das Beispiel der immer noch fehlenden Renten für die vergleichsweise kleine Gruppe ehemaliger jüdischer Zuwanderer dient als Prototyp: Seit zwei Jahrzehnten sperrt sich die Politik dagegen, auch nur ansatzweise etwas zu unternehmen, was die Lage für Menschen verbessern würde.

DAUERSCHLEIFE Gleichzeitig läuft die Dauerschleife an politischen Reden über das blühende jüdische Leben und Betroffenheit über den Holocaust. Das bisherige Motto lautet: »Sie sollen sich doch freuen, dass sie rein durften.« Nun dürfen sie nicht einmal rein.

Die Politik empfindet jüdische Zuwanderung als bürokratisches »Programm«, nicht als zwischenmenschliche Verpflichtung: Fachkräfte sowie deutschstämmige Spätaussiedler dürfen trotz Covid nach Deutschland. Nur Jüdinnen und Juden nicht. Und zwar auch dann, wenn sie ihr Leben in der alten Heimat abgewickelt haben, im Vertrauen darauf, dass jemand sie hier wirklich will. Wie lange werden ausgerechnet jüdische Zuwanderer ihrem Schicksal überlassen?

Fachkräfte sowie deutschstämmige Spätaussiedler dürfen trotz Covid nach Deutschland. Jüdinnen und Juden nicht.

Weil sich offensichtlich in zuständigen Ministerien nichts zu bewegen scheint, was mit osteuropäischen jüdischen (Ex-)Migranten zu tun hat, wäre Frau Merkel dran: Zeit für eine Chefsache.

Sie soll dafür sorgen, dass jüdische Antragsteller endlich einreisen dürfen. Sie soll auch einen runden Tisch mit dem Zentralrat und einzelnen Personen aus betroffenen Gruppen einberufen, um dringende Fragen der jüdischen Zugewanderten zu erläutern.

Eine Lösung finden wir nur in einem Gespräch, nicht bei einem erneuten Erinnerungsritual. Das wäre ein wichtiges Zeichen zum Ende ihrer laufenden Legislatur.

Der Autor ist Europapolitiker in Brüssel.

Meinung

Zurück ins Mittelalter?

Die israelische Regierung will die Todesstrafe wieder einführen. Das ist geschichtsvergessen und verblendet

von Sophie Albers Ben Chamo  04.12.2025

Meinung

Wagenknechts Schiffbruch

Nur etwa zwei Jahre nach seiner Gründung steht das BSW vorm endgültigen Scheitern – eine gute Nachricht! Dennoch bleibt ein übler Nachgeschmack

von Ralf Balke  04.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Meinung

Wir Jungen müssen die Gemeinden stärker mitgestalten

Jüdische Studierende sind vom wachsenden Antisemitismus besonders betroffen. Gleichzeitig sind junge Juden kaum in den Gemeindevertretungen repräsentiert. Das muss sich ändern

von Ron Dekel  30.11.2025

Meinung

Der Weg zum Frieden in Nahost führt über Riad

Donald Trump sieht in Saudi-Arabien zunehmend einen privilegierten Partner der USA. Die Israelis müssen gemäß dieser neuen Realität handeln, wenn sie ein Abkommen mit dem mächtigen Ölstaat schließen wollen

von Joshua Schultheis  01.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Wenn ein Botschafter Schoa-Überlebende zu Lügnern erklärt

Tom Rose, neuer US-Botschafter in Warschau, hat in einer Rede die Komplizenschaft Tausender Polen während des Holocaust bestritten. Das ist fatal für das Ansehen der USA

von Menachem Z. Rosensaft  29.11.2025

Meinung

Die Flucht der arabischen Juden

Einst lebten viele Juden in der muslimischen Welt. Es ist wichtig, an ihre persönlichen Geschichten von Exil und Mut zu erinnern

von Tair Haim  27.11.2025