Meinung

Ich habe versagt

Sophie Albers Ben Chamo Foto: STEPHAN PRAMME

Meinung

Ich habe versagt

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, kommt es darauf an, wie wir erinnern. Doch wir sind offenbar dabei, genau das den Falschen zu überlassen

von Sophie Albers Ben Chamo  23.04.2025 15:10 Uhr

Als Elie Wiesel – der als Jugendlicher die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebte – einst sagte, dass er den Tag fürchte, an dem alle Zeitzeugen der Schoa gestorben sind, schien dies ein abstrakter Moment in der Zukunft, über den anerkennend und wortreich diskutiert wurde. Wiesel ist am 2. Juli 2016 im Alter von 87 Jahren gestorben.

87 Jahre ist das Durchschnittsalter der weltweit noch etwa 200.000 Holocaust-Überlebenden, vermeldet nun die Jewish Claims Conference knapp zehn Jahre später. Und folgert, dass die Hälfte innerhalb der kommenden sechs Jahre verstorben sein werde.

Lesen Sie auch

Logisch, dass die Zeitzeugen 80 Jahre nach Kriegsende größtenteils tot sind, also unnötig, darauf hinzuweisen? Pietätlos, mit solchen Zahlen um sich zu werfen?

Mehr Zahlen gereichen, um beides zu entkräften: 2025 können zwölf Prozent der zwischen 18- und 29-Jährigen im Täterland mit den Begriffen Holocaust und Schoa nichts anfangen. 55 Prozent der Deutschen fordern ein Ende der Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit.

Sie wollen mehr? Die AfD hat in der Sonntagsfrage gerade ihr historisches Hoch erreicht. 26 Prozent der Deutschen würden die Partei des Geschichtsrevisionismus wählen. Weitere zwölf Prozent können es sich vorstellen.

Bisher sind die Zeitzeugen unser Gewissen

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, damit die Menschen über neue Anzeichen eines Faschismus und Antisemitismus wachen, müssen die Ursachen und das Grauen des Nationalsozialismus in unserer Vorstellung gegenwärtig bleiben, müssen erinnert werden. Bisher sind die Zeitzeugen unser Gewissen. Nach ihnen droht ein Chaos, das sich bereits ankündigt. Verharmlosung, Umdeutung, Negation sorgen kaum mehr für Aufregung. In den sozialen Medien existiert längst eine geschichtsrevisionistische Parallelwelt, bevölkert von der Zukunft dieses Landes.

»Ob die Schoa erinnert wird, hängt davon ab, wie sie erinnert wird«, lautet ein Satz des Judaisten James E. Young aus dem Jahr 1988. Noch einmal ausbuchstabiert: Wenn das Erinnern scheitert, wird nicht erinnert werden. Oder wie Elie Wiesel es formulierte: »Wer sich dazu herbeilässt, die Erinnerung an die Opfer zu verdunkeln, der tötet sie ein zweites Mal«.

Sie haben längst angefangen. Ich habe versagt.

benchamo@juedische-allgemeine.de

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

Meinung

Die Schönwetterfreunde Israels sind zurück! 

Die Wiederaufnahme der Waffenexporte ist richtig und notwendig. Doch das ändert nichts daran, dass die Bundesregierung das Vertrauen Israels und vieler Juden vorerst verloren hat

von Sarah Cohen-Fantl  18.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Mit Martin Hikel geht einer, der Tacheles redet

Der Neuköllner Bürgermeister will nicht erneut antreten, nachdem ihm die Parteilinke die Unterstützung entzogen hat. Eine fatale Nachricht für alle, die sich gegen Islamismus und Antisemitismus im Bezirk einsetzen

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Meinung

Die Ukrainer brauchen unsere Hilfe

Die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Deutschland nimmt ab. Aus einer jüdischen Perspektive bleibt es jedoch wichtig, auch weiterhin nicht von ihrer Seite abzuweichen

von Rabbinerin Rebecca Blady  16.11.2025

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Meinung

Jason Stanley und der eigentliche Skandal

Ohne mit allen Beteiligten gesprochen zu haben und ohne zu wissen, was wirklich passiert ist, schrieb die deutsche Presse das Ende des jüdisch-liberalen Diskurses herbei. Dabei offenbart sich, wie leichtfüßig Stereotype gefüttert werden

von Daniel Neumann  14.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Sabine Brandes

Wie Donald Trump Israels Demokratie angreift

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025