Jens-Christian Wagner

Gefahr für die Demokratie

Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Nachdem die Gedenkstätte Buchenwald, den behördlichen Vorgaben zum Corona-Infektionsschutz folgend, die 2G-Regel eingeführt hatte, erreichten sie in den vergangenen Wochen Hunderte Hassmails aus dem »Querdenken«-Milieu. Die Gedenkstätten-Mitarbeiter seien »die neuen Nazis« und »Dr. Mengeles«, war darin zu lesen, und Ungeimpfte seien die »neuen Juden«. Derartige NS-Gleichsetzungen sind nicht nur geschmacklos, sondern sie verharmlosen den Nationalsozialismus und spielen dem Geschichtsrevisionismus und antisemitischer Hetze in die Hände.

Auch auf den »Spaziergängen«, bei denen ungestört »Reichsbürger« und Rechtsextreme mitmarschieren, werden solche Parolen verbreitet, von den einschlägigen Telegram-Gruppen ganz zu schweigen. Die Holocaust-Verharmlosung gehört zur ideologischen Grundausstattung der Szene.

HALLE Und der geht es längst nicht mehr nur um Kritik an einzelnen Infektionsschutzmaßnahmen, sondern darum, die plurale, demokratische und solidarische Gesellschaftsordnung an sich zu delegitimieren. Mit antisemitischen Verschwörungslegenden wird gezielt versucht, die liberale Demokratie zu bekämpfen.

Dass der Geschichtsrevisionismus derart virulent werden würde, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Welche Folgen solche Verschwörungserzählungen haben, zeigen nicht zuletzt die Mordanschläge von Halle und Hanau. Dass der Geschichtsrevisionismus derart virulent werden würde, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.

Die Ursachen sind vielschichtig und haben viel mit allgemeinen antidemokratischen und antimodernen Ressentiments zu tun. 80 Jahre nach der Wannsee-Konferenz spielen aber auch der wachsende zeitliche Abstand zum historischen Geschehen und der Abschied von den Zeitzeugen eine Rolle.

SCHUTZSCHIRM Über Jahrzehnte erhoben die Überlebenden der Schoa ihre warnenden Stimmen, sobald Antisemitismus und NS-Verharmlosung aufkamen. Nicht nur für die Gedenkstätten und die Erinnerungskultur, sondern für die Demokratie insgesamt bildeten sie einen Schutzschirm. Der ist sehr löchrig geworden.

Das bedeutet, dass wir das reflexive Geschichtsbewusstsein als Errungenschaft unserer liberalen demokratischen Gesellschaftsordnung selbst beschützen müssen: indem wir Verschwörungslegenden, Hass, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus laut und deutlich in die Grenzen weisen.

Der Autor ist Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Weimar.

Meinung

Steinmeier auf Kuschelkurs mit einem Terrorfreund

Der Bundespräsident untergräbt mit seiner Schmeichelei gegenüber Recep Tayyip Erdogan einmal mehr Deutschlands Staatsräson

von Nils Kottmann  26.04.2024

Nils Kottmann

Israels Existenzrecht ist keine Provokation, sondern Staatsräson, Frau Özoğuz

Eine Klarstellung

von Nils Kottmann  25.04.2024

Michael Thaidigsmann

Die UNRWA-Prüfung hat keine Konsequenzen

Der Prüfbericht liegt vor, Berlin nimmt seine Förderung des Palästinenserhilfswerks wieder auf. Das könnte sich noch rächen

von Michael Thaidigsmann  25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Erinnert euch an Ägypten

Die wenigsten ägyptischen Juden haben ihre Heimat aus religiöser Sehnsucht verlassen – sie wurden vertrieben

von Mascha Malburg  22.04.2024

Meinung

Gezielte Aktionen gegen das iranische Regime werden weitergehen müssen

Warum Teheran nicht nur eine Gefahr für die Region, sondern auch für die Ukraine ist

von Saba Farzan  19.04.2024

Meinung

Den Ball flach halten

Warum die israelische Antwort auf den iranischen Angriff vom vergangenen Wochenende eher verhalten ausgefallen ist

von Ralf Balke  19.04.2024

Thüringen

Die Betroffenen nicht im Stich lassen

Es braucht den langfristigen Ausbau der fachspezifischen Gewaltopferberatungsstellen

von Franz Zobel  17.04.2024

Frederik Schindler

Zeit für eine neue deutsche Iran-Politik

Deutschland sollte das Mullah-Regime nicht länger hofieren, sondern unter Druck setzen

von Frederik Schindler  17.04.2024