Yuval Raphael hat gewonnen - zwar nicht die Trophäe des 69. Eurovision Song Contest (ESC). Doch gäbe es eine Auszeichnung für Stärke und Mut, ginge sie nach diesem ESC an die 24-jährige Sängerin, die mit ihrer Widerstandskraft eine enorme Leistung bewiesen hat. Die junge Interpretin geht mit dem zweiten Platz im Koffer nach Hause sowie mit der Erfahrung, dass Hass keine Grenzen kennt und selbst vor Veranstaltungen wie dem ESC, die kulturelle Freiheit und Offenheit feiern, keinen Halt machen.
Der ESC mag schrill und laut sein, aber er ist vielfältig und steht grundsätzlich für Toleranz in jede Richtung. Diese sollte in ihrem ganzen Spektrum verteidigt werden und nicht nur dann, wenn es gerade bequem ist beziehungsweise wenn es plötzlich gesellschaftsfähig ist, eine ESC-Teilnehmerin wie Yuval Raphael zu kompromittieren.
Wenn sich die ganze Wut radikaler Kreise und terrorverherrlichender Kräfte, die inmitten unserer Gesellschaft offenbar immer stärker werden, an einer einzigen Person entlädt, so hat dies nichts mit dem Interesse daran zu tun, sich friedvoll mit der palästinensischen Seite zu solidarisieren. Wenn eine Farbattacke auf Yuval Raphael - wohlgemerkt eine Überlebende der Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 - unmittelbar nach ihrem Auftritt in Basel von Sicherheitskräften vereitelt werden muss, dann steht dies für blanken Hass und die Unfähigkeit, ein friedliches Miteinander zu leben.
Doch gerade diesen Wert will der ESC zelebrieren. Trotzdem scheiterte man auch dieses Jahr daran, obwohl sie sich die Veranstalter die allergrößte Mühe gaben, ein Event nach Lehrbuch durchzuführen. Den ESC für Doppelmoral und Opportunismus zu torpedieren, ist nicht nur ein blinkendes Warnzeichen für eine scheinbar offene Gesellschaft, die sich damit schwerttut Diskriminierung zu bekämpfen. Es ist ein ebenso verzweifelter Akt gescheiterter Selbstreflexion.
Hierfür kann jedoch Yuval Raphael nichts. Sie trat lediglich für ihr Land an, das sie stolz machen wollte. Die letzten Tage vor dem ESC-Finale haben allerdings gezeigt, wie sie zur Zielscheibe von Hass wurde, wie sehr ungefilterte diskriminierende Muster auf sie projiziert wurden.
Solidarität darf nicht einseitig gelebt werden.
Die Ungewissheit, wann der Krieg in Gaza ein Ende nimmt und die ungelöste Frage, wie es mit einem potenziellen palästinensischen Staat weitergeht, ist zu ernst, als dass eine Musikveranstaltung dafür torpediert werden darf. Wer wirklich an einem friedvollen Nebeneinander zwischen Israelis und Palästinenser interessiert ist, missbraucht den von Diversität und Toleranz geprägten ESC nicht. Zu oft wird dieser Kontext ausgeblendet, vor allem von all jenen, die den Ausschluss Israels forderten.
Der Sieg beim ESC ist jeder Künstlerin und jedem Künstler zu gönnen. Aber Solidarität darf nicht einseitig gelebt werden, darf keine Unterschwelligkeiten bergen. Sonst verkommt der ESC zur Farce, zur inhaltsleeren Inszenierung. Das wäre nichts anderes als ein Erfolg für alle gewaltbereiten Demonstranten, die die aufgeklärten Werte einer offenen Gesellschaft mit Füßen treten und keinerlei Interesse an einem Frieden im Nahen Osten haben.
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