Achim Doerfer

Eine Chance zur historischen Richtigstellung

Achim Doerfer Foto: picture alliance / dpa

Achim Doerfer

Eine Chance zur historischen Richtigstellung

Der Bundesgerichtshof muss zeigen, dass die Justiz dazugelernt hat

von Achim Doerfer  08.08.2024 09:18 Uhr

Die meisten NS-Täter und -Täterinnen konnten ihr Leben genießen, weil die Justiz lange mit der Verfolgung ihrer Verbrechen nicht ernst machte. In Westdeutschland wurde nur etwa ein Prozent der an der Schoa Beteiligten vor Gericht gestellt.

Zwei Dinge konnten jedoch in der juristischen Aufarbeitung des Genozids an den europäischen Juden in den vergangenen 60 Jahren erreicht werden: zum einen die 1979 vom Bundestag beschlossene Unverjährbarkeit von Mord, zum anderen die in den 60er-Jahren einsetzende Erkenntnis, dass für die Schoa mehr als nur eine Handvoll Leute verantwortlich waren.

Der jüdische Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, pochte seinerzeit zu Recht darauf, dass die Schoa nur durch massenhafte Arbeitsteilung möglich gewesen ist. Der Bundesgerichtshof (BGH), bei Strafverfahren die höchste Instanz in Deutschland, stellte sich damals noch gegen diese Einschätzung.

Irmgard F. unterstützte durch die Ausübung ihrer Tätigkeit die Tötung Tausender KZ-Häftlinge.

Erst das Landgericht München folgte über 40 Jahre später dem Argument Bauers und verurteilte 2011 den ukrainischen SS-Gehilfen John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an 28.000 Insassen des Vernichtungslagers Sobibor, weil er »Teil der Vernichtungsmaschinerie« gewesen war.

Der BGH hat nun ebenfalls die Chance einzulösen, was schon lange richtig ist. Vor dem Gericht wird derzeit der Fall der 99-jährigen Irmgard F. verhandelt, die als junge Frau Sekretärin im KZ Stutthof gewesen ist. Sie war zwar nicht unmittelbar an der Tötung Tausender Häftlinge beteiligt, wirkte aber durch die Ausübung ihrer Tätigkeit unterstützend.

Der BGH sollte diesen Umstand anerkennen und damit eine historische Richtigstellung der eigenen Rechtsprechung vornehmen. Denn die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen bleibt auch und gerade dann wichtig, wenn es kaum noch Möglichkeiten dazu gibt. Erinnerungskultur und der Wunsch nach Versöhnung hängen dort im luftleeren Raum, wo die Justiz schläft.

Der Autor ist Jurist und Publizist. 2021 erschien sein Buch »Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen«.

Meinung

Für das Leben entscheiden

Die Fortführung der Kampfhandlungen in Gaza gefährdet das Leben der Geiseln und den moralischen Fortbestand Israels. Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden

von Sabine Brandes  16.09.2025

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Gent befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025

Essay

Das Gerücht über Israel

Die Geschichte des Antisemitismus ist eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen

von Daniel Neumann  06.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Einseitig, fehlerhaft, selbstgerecht

Die »International Association of Genocide Scholars« bezichtigt Israel des Völkermords. Die Hamas spricht sie von jeder Verantwortung für die Lage in Gaza frei. Eine Erwiderung

von Menachem Z. Rosensaft  05.09.2025

Meinung

Vuelta-Radrennen: Israelhasser ohne Sportsgeist

Bei der spanischen Radtour ist der israelische Rennstall Ziel von Störaktionen. Nun forderte der Rennleiter das Team auf, nicht mehr anzutreten. Wenigen Fanatiker gelingt es, Israel vom Sport auszuschließen - wie so oft in der Geschichte

von Martin Krauss  04.09.2025