Einspruch

Ein wichtiges Signal

Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees Foto: picture alliance/dpa

Die Anspannung der Überlebenden und der Nachkommen von in Sachsenhausen Ermordeten, die als Zeugen zum Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Josef S. nach Brandenburg angereist waren, reichte tief: Die Bilder und die entsetzlichen Erinnerungen des Erlebten und der lebenslange Schmerz über den ermordeten Vater werden die Lebenstage von Emil Farkas, der aus Haifa gekommen war, und Antoine Grumbach, der in Paris lebt, bis zu ihrem letzten Atemzug prägen.

Was erwarteten sie sich von dem Prozess, von der Begegnung mit einem deutschen Gericht und mit dem Angeklagten? Vor allem erhofften sie, wie viele Überlebende zuvor, eine schonungslose und ehrliche Aussage des Angeklagten zu seinem »Dienst« bei der SS in Sachsenhausen: Wie war er auf einen Wachturm dieses Lagers gekommen, was hat er gesehen, und woran war er beteiligt? Und würde der Angeklagte ihnen gegenüber ein Wort der Entschuldigung und der Erkenntnis der eigenen Verstrickung finden?

schweigen Sie wurden enttäuscht: Auch dieser Angeklagte, dem sein Dienst und seine dreijährige »Anwesenheit« in Sachsenhausen durch die Vorlage von Dokumenten für das Gericht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, reihte sich ein in das Schweigen der SS, das fast jeden der wenigen NS-Prozesse beherrscht hat.

Nein, er sei nie in Sachsenhausen gewesen, das beteuerte der Angeklagte bis zum letzten Prozesstag. Ihm werde Unrecht getan. Er habe mit all dem nichts zu tun.

Die Gerechtigkeit kennt kein Verfallsdatum.

Umso wichtiger war es für die Zeugen, als Nebenkläger auf ein Gericht und einen Vorsitzenden zu treffen, der sich ihrer Erinnerungen und ihrer Empfindungen mit großer Klarheit und Sensibilität annahm und sich darüber hinaus bewusst war, dass in dieser zum Gerichtssaal umfunktionierten Turnhalle angesichts des symptomatischen Leugnens des Angeklagten und des jahrzehntelangen Wegduckens der deutschen Nachkriegsjustiz vor den NS-Tätern auch Justizgeschichte geschrieben werden würde.

genugtuung Insofern war dieser Prozess eine späte, viel zu späte Genugtuung und ein wichtiges Signal aus Deutschland, dass die Gerechtigkeit eben doch kein Verfallsdatum kennt. Ein wichtiges Signal vor allem in Richtung jener antisemitischen und rechtsextremen Welten, in denen die Errichtung von ähnlichen Lagern wie Sachsenhausen durchaus zum Programm gehört.

Und ein Nachsatz: Prompt mehren sich nach dem Prozessende die aufgeregten und bösen Briefe derjenigen, die den Überlebenden und ihren Angehörigen Rachsucht und fehlende Menschlichkeit unterstellen. Ihr Druck auf die deutsche Gerichtsbarkeit müsse über die Jahre hinweg enorm gewesen sein: Wie sonst könnte man einen Greis in so hohem Alter noch vor Gericht zerren?

Es sei höchste Zeit, endlich einen Schlussstrich zu ziehen: Wir seien schließlich alle Opfer gewesen, und jetzt möge man das Ganze doch bitte endlich, endlich vergessen!

Der Autor ist Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Meinung

Für das Leben entscheiden

Die Fortführung der Kampfhandlungen in Gaza gefährdet das Leben der Geiseln und den moralischen Fortbestand Israels. Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden

von Sabine Brandes  16.09.2025

Kommentar

Das Geraune von der jüdischen Lobby

Der Zürcher »Tages-Anzeiger« befasst sich kritisch mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Absage einer Veranstaltung mit Francesca Albanese an der Uni Bern gefordert hatte. Dabei war diese Intervention richtig

von Michael Thaidigsmann  15.09.2025

Meinung

Lasst uns nicht allein!

Nach dem Canceln von Lahav Shani durch das Flandern-Festival in Gent befürchtet Maria Ossowski, dass Juden Europa jetzt verlassen wollen

von Maria Ossowski  11.09.2025

Meinung

Gent: Boykottiert die Boykotteure!

Dass die Münchner Philharmoniker in Gent nicht auftreten dürfen, weil sie mit Lahav Shani einen israelischen Dirigenten haben, ist eine Schande - und erfordert eine deutliche Antwort deutscher Kulturschaffender

von Michael Thaidigsmann  10.09.2025

Meinung

Wenn Wutausbrüche Diplomatie ersetzen

So verständlich der Frust ist, tut sich Israels Regierung mit ihrer aggressiven Kritik an westlichen Regierungen und ihren Einreiseverboten für europäische Politiker keinen Gefallen

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Meinung

Bitte mehr Sorgfalt, liebe Kollegen!

Weltweit haben Medien die Geschichte verbreitet: In Gaza sei ein hilfesuchendes Kind von Israelis erschossen worden. Es stimmt nur nicht, wie sich nun herausstellt. Von professionellen Journalisten darf man eigentlich mehr erwarten

von Susanne Stephan  08.09.2025

Essay

Das Gerücht über Israel

Die Geschichte des Antisemitismus ist eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen

von Daniel Neumann  06.09.2025 Aktualisiert

Meinung

Einseitig, fehlerhaft, selbstgerecht

Die »International Association of Genocide Scholars« bezichtigt Israel des Völkermords. Die Hamas spricht sie von jeder Verantwortung für die Lage in Gaza frei. Eine Erwiderung

von Menachem Z. Rosensaft  05.09.2025