Der Ausspruch »Nie wieder« ist mit den Lehren aus der nationalsozialistischen Judenvernichtung verbunden. Die Jugendorganisation der Linkspartei hat nun einen Antrag mit dem Titel »Nie wieder zu einem Völkermord schweigen« beschlossen. Darin wird fälschlicherweise nicht nur von der »Vernichtung des palästinensischen Volkes« durch Israel gesprochen, sondern auch vom »kolonialen und rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts« – »von seinen Anfängen bis heute«.
Die Gründung des Judenstaats, nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen, halten nicht wenige deutsche Linke also selbst für ein Verbrechen. Sie brandmarken die jüdische Emanzipationsbewegung, den Zionismus, als rassistisch. Nach Auschwitz hätte jeder Zweifel am jüdischen Selbstbestimmungsrecht eigentlich verstummen müssen – doch er hallt ausgerechnet auch in den Reihen derer nach, die sich als antifaschistisch verstehen.
Die Entstehung des Zionismus war eine Antwort auf Entrechtung und antisemitische Pogrome. Die Schoa bestätigte die zionistische Grundthese: dass Juden ohne eigenen Staat nicht sicher sein würden. Wer heute den jüdischen Staat als »rassistisch« oder »imperialistisch« verunglimpft, verkennt, dass er aus dem Scheitern der Weltgemeinschaft hervorgegangen ist, Juden zu schützen.
In großen Teilen der Partei gehört Israelfeindschaft zum guten Ton.
Die Mehrheit der Linksjugend jedoch will die Fähigkeit der Juden zur Selbstverteidigung nicht als legitime Konsequenz jüdischer Geschichte anerkennen. Sie macht israelische Soldaten implizit zu nationalsozialistischen Tätern, dämonisiert damit erstere und verharmlost letztere. Eine neu gewählte Bundessprecherin der Linksjugend macht das sogar explizit, wenn sie in einem mittlerweile gelöschten Video vom »Holocaust« in Gaza spricht. Mit einer legitimen Kritik an der Kriegsführung eines israelischen Ministerpräsidenten, der mit Rechtsextremen zusammenarbeitet, hat das nichts zu tun. Es ist NS-Verharmlosung in Reinform.
Die »Befreiung Palästinas« müsse »als Teil einer breiteren demokratischen und sozialistischen Revolution betrachtet werden, die den Imperialismus und Kapitalismus aus der Region herauswirft«, heißt es in dem hetzerischen Linksjugend-Beschluss weiter. Gemeint ist Israel. Der Beschluss richtet sich damit gegen die Existenz des jüdischen und demokratischen Staates. Er ist ein eindeutiges Beispiel für antizionistischen Antisemitismus, den es innerhalb der politischen Linken schon seit Jahrzehnten gibt und der sich seit dem 7. Oktober 2023 stark radikalisiert hat.
Die genozidale Vernichtungsaktion von diesem Tag findet in dem Beschluss keinerlei Erwähnung. Dafür fordert die Linke-Parteijugend darin die Unterstützung »sozialistischer« und »revolutionärer Bewegungen in der Region« – und ignoriert geflissentlich, dass sich ihre marxistisch-leninistischen Gesinnungsgenossen vor Ort längst der islamistischen Hamas unterworfen haben, mit dieser im Kampf gegen den »Fremdkörper Israel« zusammenarbeiten und selbst Terroranschläge gegen israelische Zivilisten verüben.
Aus der Linkspartei waren auf Anfrage der »Welt« immerhin kritische Stimmen zur eigenen Jugend zu hören. Klar ist jedoch, dass auch in großen Teilen der Partei Israelfeindschaft zum guten Ton gehört. Mehrere Landtagsabgeordnete aus Berlin und Sachsen-Anhalt, die sich einer entschiedenen Kritik jeder Spielart des Antisemitismus sowie einer Solidarität mit Israel als Schutzraum für Juden und Staat der Holocaust-Überlebenden und ihrer Nachkommen verschrieben und sich dabei immer wieder auch mit den eigenen Leuten angelegt hatten, haben die Partei im vergangenen Jahr verlassen.
Die verbliebenen antisemitismuskritischen und israelsolidarischen Kräfte wurden dadurch bedeutend geschwächt. Mit der Gründung einer Bundesarbeitsgemeinschaft »Shalom« versuchen sie nun, dem Wiederaufleben des antizionistischen Antiimperialismus Einhalt zu gebieten. Dem Vorhaben kann nur viel Erfolg gewünscht werden. Allerdings sieht derzeit leider alles danach aus, dass eine weitere Marginalisierung dieses Spektrums innerhalb der Linken kaum abgewendet werden kann.
Der Autor ist Politik-Redakteur der »Welt« und »Welt am Sonntag«.