Meinung

Deutsch denken?

Dr. Kai Langer, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt Foto: picture alliance / CHROMORANGE

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Deutsch denken?

Wie die rechtsextreme AfD den Kulturbetrieb Sachsen-Anhalts umgestalten will. Ein Gastbeitrag von Kai Langer, dem Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-​Anhalt

von Kai Langer  01.06.2025 17:32 Uhr

Im kommenden Jahr wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Beflügelt durch den Ausgang der Bundestagswahl – 37 Prozent der Zweitstimmen plus Gewinn aller acht Direktmandate – peilt die hiesige AfD die absolute Mehrheit an. Als Spitzenkandidat des als »gesichert rechtsextremistisch« eingestuften Landesverbandes geht wohl Ulrich Siegmund ins Rennen.

Als Teilnehmer jener Runde in der Villa Adlon bei Potsdam, die 2023 einen »Masterplan zur Remigration« diskutierte, hat es der heute 34-jährige Co-Chef der Landtagsfraktion zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Zogen nach Bekanntwerden des Treffens noch über eine Million Menschen gegen die AfD auf die Straßen, hat sich deren Spitze die euphemistische Bezeichnung für Massendeportationen längst zu eigen gemacht.

Um die von Magdeburg aus regierende »Deutschland-Koalition« aus CDU, SPD und FDP abzulösen, setzt auch die Landes-AfD mit gezielten Provokationen auf einen Gewöhnungseffekt. Indem sie ihre politischen Vorstöße in harmlos klingende Begründungen kleidet, sucht sie ihre wachsenden Zustimmungswerte weiter auszubauen.

Die AfD will Deutungshoheit über nationale Symbole erringen

Mit der Forderung nach dauerhafter Beflaggung vor Schulen und Dienstgebäuden mit der Deutschlandfahne erzielte sie bereits in mehreren Landkreisen Geländegewinne. Anders als von ihr behauptet, geht es nicht darum, Gemeinsinn zu stiften, sondern Deutungshoheit über nationale Symbole zu erringen. Dass sich für derartige Manöver parteiübergreifende Mehrheiten finden, sorgt im demokratischen Lager zunehmend für Besorgnis.

Im Landtag ist die vielbeschworene »Brandmauer« noch intakt. Als treibender Keil, sie niederzureißen, tritt hier vor allem Hans-Thomas Tillschneider, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion hervor. Zusammen mit anderen Rechtsextremen wie Björn Höcke aus Thüringen und Andreas Kalbitz aus Brandenburg prägte er über Jahre das Profil des »Flügels«. Obwohl die Plattform so nicht mehr existiert, sind deren Ideen längst in den ostdeutschen Landesverbänden verankert.

Die nach der Wiedervereinigung entstandene Gedenk- und Erinnerungskultur ist der AfD ein Dorn im Auge.

Zum Flügel-Erbe zählt auch die Propagierung eines völkisch-nationalistischen Geschichtsbildes, das die NS-Verbrechen durch Relativierung zu »historisieren« sucht. Deshalb ist die nach der Wiedervereinigung entstandene Gedenk- und Erinnerungskultur der AfD ein Dorn im Auge.

Obwohl Tillschneider die deutsche Schuld an der Shoa nicht bestreitet, soll sie nach seinem Willen kein zentraler Bezugspunkt kollektiven Erinnerns mehr sein. Unter dem Titel »Schuld anerkennen, Schuldkult beenden!« postete er im Herbst 2023 den Text einer vor Anhängern in Schnellroda gehaltenen Rede. Darin fiel der bezeichnende Satz »[U]nsere Vergangenheit soll uns keine Last mehr sein, sondern eine Lust.«

Derart freimütig hatte sich Tillschneider nicht immer gezeigt. Als Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal im Zentrum Berlins 2017 als »Denkmal der Schande« bezeichnet und eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« verlangt hatte, verhielt er sich still.

Dass nach SPIEGEL-Recherchen ein zum damaligen Zeitpunkt ausgearbeiteter Antrag zur Auflösung der landeseigenen Gedenkstättenstiftung in der Fraktionsschublade verblieb, mag der riesigen Empörungswelle geschuldet gewesen sein, die Höckes Einlassungen folgte. Stattdessen brachte die sachsen-anhaltische AfD-Fraktion nur einen Vorschlag ein, der die Einrichtung einer Gedenkstätte für die Opfer der Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg vorsah.

Die DDR-Geschichte wird von der AfD instrumentalisiert

Danach hielt sich die regionale AfD-Führung in Sachen Erinnerungskultur zurück. Während ihre Vertreter Veranstaltungen zur Ehrung von NS-Opfern eher mieden, wurden sie bei entsprechenden Anlässen für Opfer des SED-Unrechts gleich in größerer Zahl gesichtet.

Wie die Partei die DDR für sich zu instrumentalisieren sucht, zeigt ihr Umgang mit historischen Jubiläen. Anlässlich des 30. Jahrestags der Grenzöffnung 2019 verbreitete sie einen am Grenzdenkmal Hötensleben produzierten Videoclip. Mit Verweis auf das SED-Regime zog sie Parallelen zur heutigen Bundesrepublik und beklagte die angeblich fehlende Meinungsfreiheit.

Im Vorfeld der 70. Wiederkehr des Volksaufstands von 1953 verlangte sie, die »einseitige Erinnerungskultur« durch Aufnahme historischer Ereignisse wie den 17. Juni »aufzubohren«. Dass das Datum längst Bestandteil des offiziellen Gedenkkalenders ist, unterschlug sie dabei. Ihr taktischer Umgang mit der zweiten Diktatur wurde 2017 mit der Bundestagskandidatur eines ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiters deutlich.

Hans-Thomas Tillschneider sagt nicht nur der Erinnerungskultur den Kampf an, sondern dem gesamten Kultur- und Bildungsbereich.

Trotz der kürzlich vorgenommenen Einstufung der Gesamtpartei als »gesichert rechtsextremistisch« geht die in Bund und Land stärkste Oppositionspartei politisch in die Offensive. So fordert auch Tillschneider mit zunehmender Vehemenz eine »kulturpolitische Wende um 180 Grad«. Im Unterschied zur »180-Grad«-Äußerung seines innerparteilichen Rivalen Höcke, sagt er damit nicht nur der Erinnerungskultur den Kampf an, sondern dem gesamten Kultur- und Bildungsbereich.

Unter der Überschrift »Irrweg der Moderne« brachte er seine Fraktion gegen das vor 100 Jahren von Weimar nach Dessau verlegte Bauhaus in Stellung: Anknüpfend an Argumentationsmuster der Nationalsozialisten, die bereits 1932 die Schließung der renommierten Architektur- und Designschule betrieben hatten, ätzte er, das Bauhaus habe »das menschliche Bedürfnis nach Behaglichkeit nach allen Regeln der Kunst vergewaltigt«.

Landeszentrale für politische Bildung geriet in den Fokus

Ende Januar, in zeitlicher Nähe zum diesjährigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, holten Tillschneider & Co zum nächsten Schlag aus. Diesmal geriet die Landeszentrale für politische Bildung in den Fokus.

Die Forderung ihres Kuratoriumsmitglieds Tillschneider, die Einrichtung »in ihrer jetzigen Form« abzuschaffen und durch ein »Landesinstitut für staatbürgerliche Bildung und kulturelle Identität« zu ersetzen, deutet bereits die politische Stoßrichtung an: Veranstaltungen, die sich mit dem Ende der NS-Zeit vor 80 Jahren befassen - auch Zeitzeugengespräche mit Holocaustüberlebenden - sollen nicht mehr stattfinden, stattdessen regionales »Brauchtum« propagiert werden. Um die von der Landeszentrale zu 100 Prozent geförderten Gedenkstättenfahrten im Land zu diskreditieren, diffamierte der AfD-Politiker deren jugendliche Teilnehmer als »Nazi-Zombies«.

Erst jüngst unterbreitete die Fraktion dem Landtag ein ganzes Maßnahmenpaket, um die Landeskampagne »#moderndenken« durch eine andere mit dem Slogan »#deutschdenken« zu ersetzen. Dass es hier nicht nur um den Austausch eines Wortes geht, wird schon an der Gestaltung des Kampagnenlogos, das dem Flügel-Design nachempfunden ist, deutlich. Inhaltlich orientiert sich das Paket an Vorbildern aus vordemokratischer Zeit. Um die deutsche Geschichte als Quell eines ungebrochenen Nationalstolzes zu erschließen, werden störende Kapitel wie die NS-Zeit einfach ausgeblendet.

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Ginge es nach dem Willen der AfD Sachsen-Anhalt, würde es neben der »Straße der Romanik« bald eine »Straße des deutschen Reiches« geben, die von ihr auserkorene Geschichtsorte miteinander verbindet. Statt wie bisher »sog. [!] Gedenkstättenfahrten« zu fördern, führte das Land einen »Stolz-Pass« ein, der »Patrioten« aus ganz Deutschland zu touristischen Besuchen entlang der neuen Route animiert.

In einer viel beachteten Stellungnahme haben fünf landeseigene Kulturstiftungen gemeinsam auf diese Pläne reagiert. Schon die Wahl des Kampagnenmottos #deutschdenken lasse tief blicken. In einer Rede vor begeisterten HJ-Angehörigen hatte Adolf Hitler 1938 gesagt: »Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln […] und fühlen. […] [D]ann nehmen wir sie [- gemeint sind die Jugendlichen -] sofort in die Partei oder in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS […] und so weiter. Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben, und sie sind glücklich dabei.«

»Wenn sich 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Partei dieses Vokabular zu eigen macht« – so das Fazit der unterzeichnenden Kulturinstitutionen – »zeigt dies, in welcher Tradition sie zu verorten ist«.

Der Autor ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt.

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