Leonard Kaminski

Beten für die Bundesrepublik

In Deutschland versuchen nur Rechtspopulisten, ein vermeintliches Wir-Gefühl zu stiften. Das müssen wir ändern

 04.01.2019 09:26 Uhr

In Deutschland versuchen nur Rechtspopulisten, ein vermeintliches Wir-Gefühl zu stiften. Das müssen wir ändern

 04.01.2019 09:26 Uhr

Vergangenen Jom Kippur habe ich in Frankreich verbracht. Die sefardischen Melodien und Traditionen waren ungewohnt – richtig erstaunt war ich aber über etwas anderes: Bei geöffnetem Aron Hakodesch wird von der gesamten Gemeinde auf Französisch lautstark das »Gebet für die Republik« gesprochen, in dem die französischen Werte der Aufklärung gepriesen und den Sicherheitskräften sowie allen Franzosen, Juden und Nichtjuden, für den Schutz dieser Werte gedankt wird.

Ein Gebet für die Bundesrepublik in deutschen Synagogen ist heute nicht vorstellbar. Erstens, weil sich ein Großteil der deutschen Juden damit knappe 75 Jahre nach der Schoa nicht wohlfühlen würde. Zweitens, weil ein auf demokratischen, progressiven Werten basierender Patriotismus wie jener in Frankreich in Deutschland nicht existiert. Hier versuchen heute nur die Rechtspopulisten, ein vermeintliches Wir-Gefühl zu stiften, und haben damit bei einem größer werdenden Teil der Deutschen Erfolg.

demokratie Auch wenn uns AfD und Konsorten nur allzu gerne vor ihren rückwärtsgewandten Karren spannen würden, ist doch offensichtlich: Davon können und wollen die deutschen Juden kein Teil sein. Stattdessen ist es in unserem Interesse, den Extremisten das Wir-Gefühl in Deutschland nicht zu überlassen. Nur dort, wo Demokratie und Freiheit herrschen, kann jüdisches Leben blühen.

Natürlich gibt es auch heute noch viel zu tun, um aus deutschen Werten etwas zu formen, das nichts mehr mit völkischem Denken, Antisemitismus und Rassismus zu tun hat. Aber wenn wir es schaffen, gemeinsam mit den Millionen gleichgesinnten Deutschen unterschiedlichster Hintergründe die Frage nach einem deutschen Wir-Gefühl mit positiven Werten zu besetzen und so den Radikalen das Spielfeld zu nehmen, dann können auch wir uns lautstark dazu bekennen: Ja, wir sind gerne deutsch – weil Deutschsein heute Rechtsstaat, Toleranz, Vielfalt, Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung bedeutet.

Der Autor ist Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied bei der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS).

Sigmount A. Königsberg

Mendel, Waters und »Der Spiegel«

Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hat einem Musiker, der immer wieder mit antisemitischen Aussagen auffällt, einen Koscher-Stempel verpasst

von Sigmount A. Königsberg  23.03.2023

Nathalie Schomerus

Die Jüdischen Gemeinden müssen nachhaltiger werden

Auch die jüdische Gemeinschaft ist in der Pflicht, die Umweltverschmutzung zu bekämpfen

von Nathalia Schomerus  17.03.2023

Einspruch

Rechtsextreme als Schöffen verhindern

Doron Rubin plädiert dafür, die Verfassungstreue von Schöffen gesetzlich zu verankern

von Doron Rubin  17.03.2023

Lamya Kaddor

Tödlicher Antijudaismus

Die menschenverachtende und antisemitische Ideologie des Hamburg-Attentäters war bekannt. Hätte der Amoklauf verhindert werden können?

von Lamya Kaddor  14.03.2023

Ruben Gerczikow

Sportvereine: Kein Handschlag mit Nazis

Die Mär vom unpolitischen Sport muss endlich grundsätzlich hinterfragt werden

von Ruben Gerczikow  10.03.2023

Meinung

Die Hoffnung nicht verlieren

Unsere Redakteurin sorgt sich wegen der Justizreform um Israels Zukunft – und will gerade deshalb den Kontakt nicht abreißen lassen

von Ayala Goldmann  07.03.2023

Hajo Funke

Ein Mittel der Holocaust-Leugnung

Der Inhalt der gefälschten Hitler-Tagebücher wurde erst jetzt rekonstruiert und veröffentlicht – sie offenbaren einen Abgrund an Verzerrung, Geschichtsklitterung und Dreistigkeit

von Hajo Funke  03.03.2023

Aras-Nathan Keul

Symbol einer verfehlten Iran-Politik

Das Islamische Zentrum Hamburg ist laut Verfassungsschutz ein Außenposten der Islamischen Republik – und konnte sich dennoch auf der Leipziger Buchmesse für einen Stand anmelden

von Aras-Nathan Keul  03.03.2023

Meinung

Ethisch und moralisch am Ende

Die Reaktion von Rabbiner Walter Homolka auf das Urteil des Landgerichts Berlin lässt einmal mehr tief blicken

von Philipp Peyman Engel  01.03.2023