Vladislava Zdesenko

89 Maßnahmen und eine offene Flanke

Vladislava Zdesenko Foto: pr

Vladislava Zdesenko

89 Maßnahmen und eine offene Flanke

Effektive Maßnahmen müssen alle Quellen des Antisemitismus erfassen – auch linke und muslimische

 17.12.2020 09:09 Uhr

Ende November beschloss die Bundesregierung 89 Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Ein Großteil zielt auf die Bekämpfung von Antisemitismus ab. Offenbar zündete der Anschlag von Halle den Handlungsbedarf – so soll künftig jährlich am 9. Oktober, dem Jahrestag des Anschlags, zu Aktionen für Solidarität und gegen Antisemitismus aufgerufen werden.

Maßnahmen Ernstgemeinte, effektive Maßnahmen müssen jedoch alle Quellen des Antisemitismus erfassen. Aber der linke und der muslimische Antisemitismus bleiben in dem Maßnahmenkatalog gänzlich unbeachtet. So kommt der Begriff Antizionismus im gesamten Paket nicht einmal vor.

Mehr Potenzial versprechen hingegen die auf den Weg gebrachten Maßnahmen für die Justiz: Den strafverschärfenden Tatmotiven aus dem Strafgesetzbuch sollen antisemitische Beweggründe hinzugefügt werden. Darin liegt die Chance, einen modernen Antisemitismusbegriff in die Rechtspraxis einzuführen und mit dessen Hilfe die Fälle der Tarnung von Antisemitismus als Israelkritik zu erfassen.

Besonders geeignet ist die Arbeitsdefinition der IHRA, die antisemitische Aspekte der Israelkritik in eine klassische Definition integriert.

Besonders geeignet ist dabei die Arbeitsdefinition der IHRA, die antisemitische Aspekte der Israelkritik in eine klassische Definition integriert. Ausgerüstet mit einer tragfähigen Definition und gezielter Bildung bekommt die Justiz damit ein effektives Werkzeug an die Hand. Damit wären etwa Urteile, nach denen Angriffe auf Synagogen als Israelkritik gewertet werden können, endgültig Vergangenheit.

MOBBING Für Opfer antisemitischen Mobbings hält der Maßnahmenkatalog dagegen kaum fruchtbare Ansätze bereit. Dabei bietet Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes dem Staat die Möglichkeit, das Grundrecht der Eltern auf Erziehung der Kinder zu überwachen.

Wie dringlich das ist, zeigt das Strafverfahren gegen den Attentäter von Halle: Antisemitische Überzeugungen werden im Elternhaus verankert. Der Staat ist seit Jahren gefordert, bei Anzeichen von antisemitischen erzieherischen Ansätzen den Pädagogen, Schul- und Jugendämtern rechtliche Handhabe zu verschaffen, um bei den Familien zu intervenieren.

Fest steht: Der potenzielle Mehrwert der geplanten Maßnahmen liegt in der möglichen Definition und Sensibilisierung der Justiz für die Vielfalt der Erscheinungsformen des modernen Antisemitismus. Die einseitige Schwerpunktsetzung auf Rechtsextremismus jedoch hinterlässt das Gefühl einer offenen Flanke. Und viele offene Fragen.

Die Autorin ist Rechtsanwältin in Berlin.

Andrea Kiewel

Ein Weltwunder namens Regen

Jedes Jahr im Dezember versetzt der Regen die Menschen in Israel in Panik - dabei ist er so vorhersehbar wie Chanukka

von Andrea Kiewel  11.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Eurovision: Mobbing statt Musik

Eigentlich versteht jeder, dass Musiker nicht mit ihren Regierungen identisch sind. Wenn es um den jüdischen Staat geht, scheint diese Logik jedoch nicht zu gelten

von Sabine Brandes  07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Meinung

Zurück ins Mittelalter?

Die israelische Regierung will die Todesstrafe wieder einführen. Das ist geschichtsvergessen und verblendet

von Sophie Albers Ben Chamo  04.12.2025

Meinung

Wagenknechts Schiffbruch

Nur etwa zwei Jahre nach seiner Gründung steht das BSW vorm endgültigen Scheitern – eine gute Nachricht! Dennoch bleibt ein übler Nachgeschmack

von Ralf Balke  04.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  03.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Meinung

Wir Jungen müssen die Gemeinden stärker mitgestalten

Jüdische Studierende sind vom wachsenden Antisemitismus besonders betroffen. Gleichzeitig sind junge Juden kaum in den Gemeindevertretungen repräsentiert. Das muss sich ändern

von Ron Dekel  30.11.2025