Kulturbetrieb

»Wie lange will das politische Deutschland noch zusehen?«

Eröffnung einer Ausstellung der US-Fotografin Nan Goldin in der Nationalgalerie in Berlin im November 2024 Foto: IMAGO/Matthias Reichelt

Vertreter der israelischen Botschaft in Berlin und der Dirigent Lahav Shani konnten oder wollten nicht an der Sitzung des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien teilnehmen. Auch die Antisemitismus-Expertin Monika Schwarz-Friesel war verhindert, hatte aber im Vorfeld wie weitere Sachverständige eine schriftliche Stellungnahme abgegeben.

Im deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb herrsche mittlerweile eine Atmosphäre, in der antisemitische Haltungen häufig akzeptiert oder toleriert würden. Jüdische Stimmen würden »verdrängt, ausgeladen, niedergebrüllt, marginalisiert, ignoriert«, insbesondere an Universitäten und im akademischen Bereich, schrieb Schwarz-Friesel in ihrem Statement.

»Judenhass ufert im Kultur-, Kunst- und Akademiebereich immer weiter aus«, so die Berliner Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin in ihrem Papier für den Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, der am Mittwochnachmittag tagte. Am Ende fragte sie: »Wie lange noch will das politische Deutschland zusehen? Bis der letzte Jude aus Deutschland ausgewandert ist?«

Thema der Anhörung des Ausschusses war nicht nur Judenhass im Kulturbetrieb, sondern auch die deutsch-israelischen Kulturbeziehungen. Wegen Verhinderung des Vorsitzenden Sven Lehmann (Bündnis90/Die Grünen) wurde sie von dessen Stellvertreter Gregor Gysi (Die Linke) geleitet.

Zu Beginn ergriff Kulturstaatsminister Wolfram Weimer das Wort und widmete sich ausführlich dem Eurovision Song Contest. Heute will die European Broadcasting Union (EBU) über Israels Teilnahme an dem populären Musikwettbewerb entscheiden. Spanien und andere Länder haben bereits damit gedroht auszusteigen, falls Israel im kommenden Jahr teilnimmt.

Streit um Israels Teilnahme beim ESC: Weimer ist optimistisch

»Wir haben uns in den letzten Wochen mit vielen Telefonaten bemüht, dass Israel singen darf«, sagte Weimer den Abgeordneten. »Aber wir wissen nicht genau, wie es ausgeht.« Dennoch zeigte er sich optimistisch, dass die deutsche Haltung bei den EBU-Mitgliedern eine Mehrheit finden wird.

Protest gegen Israels Teilnahme am Eurovision Song Contest in Malmö 2024Foto: IMAGO/Anadolu Agency

»Bei der Ministerratssitzung in Brüssel letzte Woche haben etwa zehn Staaten Stellung bezogen, und alle waren auf unserer Linie. Auch Länder, von denen man dachte, sie wären eher pro Boykott. Und am Ende hat der EU-Kommissar Micallef zusammengefasst, dass auch die Kommission offiziell Protest erhebt dagegen, dass Israel boykottiert werden soll«, sagte Weimer. Er habe sich über das klare Statement und den »positiven Widerhall« aus Brüssel gefreut, so der parteilose Kulturstaatsminister des Bundes.

Doch es ging bei der Anhörung nicht nur um den berühmten europäischen Musikwettbewerb. Die geladenen Sachverständigen aus Wissenschaft, Kunst und jüdischen Verbänden sprachen auch über antisemitische Vorfälle im deutschen Kulturbetrieb und über den »stillen Boykott«, mit dem viele israelische und auch jüdisch-deutsche Künstler dieser Tage zu kämpfen haben.

Schuster: »Antisemitische Vorfälle bleiben oft folgenlos«

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, machte deutlich, dass der Kampf gegen Antisemitismus und der Schutz der Kunstfreiheit keine Gegensätze seien, sondern »miteinander im Einklang stehende Verfassungsprinzipien«. Schuster kritisierte, dass antisemitische Vorfälle oft folgenlos blieben und jüdische Kulturschaffende zunehmend Ausladungen und Boykottaufrufen ausgesetzt seien.

Besonders gravierend sei der »stille Boykott«, der zwar schwer nachweisbar sei, aber dennoch große Auswirkungen habe, beispielsweise auf Jurys und Medienschaffende. Schuster forderte klare Konsequenzen, unabhängige Meldestrukturen und regelmäßige Schulungen für Mitarbeiter von Kulturinstitutionen. Zudem müsse ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der es erlaube, Fördergelder zurückzufordern, wenn Projekte antisemitische Ziele verfolgten. Auch das Thema Sicherheit von Kulturveranstaltungen müsse mehr in den Blick rücken, forderte er.

Der Zentralratspräsident sieht den deutsch-israelischen Kulturaustausch in Gefahr. Er verwies in seiner Stellungnahme auf Studien, die einen Rückgang der Teilnehmerzahlen nahelegen. Zudem würden israelische Perspektiven in Deutschland zusehends marginalisiert. Um dem entgegenzuwirken, forderte Schuster erweiterte Residenzprogramme, Stipendien und institutionell gesicherte Förderstrukturen. Nur so könne das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft in die deutschen Kulturinstitutionen wiederhergestellt werden.

»Kein genuines Antisemitismusproblem im Kulturbereich«

Das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der Technischen Universität Berlin betonte dagegen die Bedeutung einer offenen Debattenkultur. Kunstfreiheit sei ein hohes Gut. Politik und Staat sollten sich verpflichten, so das ZfA, die Freiheit der Kultur zu schützen und – mit gewissen Einschränkungen - auch radikale Kritik dulden.

Boykottaufrufe gegen israelische Kulturschaffende lehnt das Zentrum ab, warnt aber zugleich vor einer pauschalen staatlichen Sanktionierung unliebsamer Positionen. Im Kulturbereich gibt es nach Einschätzung der Berliner Forscher kein genuines Antisemitismusproblem, wohl aber Verunsicherung und Ängste unter jüdischen Künstlern, die ernst genommen werden müssten.

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Der Schriftsteller Chaim Noll kritisierte vor allem die Rolle deutscher Medien. Diese hätten während des Gaza-Krieges Hamas-Narrative übernommen und damit ein verzerrtes Bild Israels verbreitet, so Noll. »Die hier kurz skizzierte einseitige, tendenziöse Berichterstattung über Israels Rolle im Nahen Osten hat auf Dauer katastrophale Auswirkungen auf kollektive Stimmungslagen in Deutschland«, schrieb er in seiner Stellungnahme.

Besonders unter Jugendlichen habe dies zu einer neuen Verbreitung antisemitischer Ressentiments geführt. Auch im Kulturbetrieb sei es für jüdische Künstler kaum möglich, ohne Distanzierung von Israel eine Bühne zu bekommen.

»Wir sind nicht weitergekommen«

Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt plädierte für eine »Kultur der Kritik« statt einer »Kultur des Verbots«. »Kritik an Kunst ist immer erlaubt und legitim, sie gehört zur Kunst dazu«, so Mendel. Staatliche Antidiskriminierungsklauseln seien problematisch, sie würden die Kunstfreiheit gefährden, meinte er, denn Forderungen nach Zensur und Sanktionen gegen Künstler würden letztlich nur autoritären Kräften nützen. Er habe das Gefühl, dass man in der Debatte »ein wenig auf der Stelle« trete, so Mendel. »Die Probleme sind schon längst bekannt. Aber irgendwie sind wir nicht weitergekommen bei der Lösung«, sagte er.

Künstler – auch jüdische – hätten Angst, im Kampf gegen Antisemitismus instrumentalisiert zu werden »im Dienste des Staates Israel, im Dienste einer Politik, die sie mehrheitlich nicht unterstützen«. Mendel kritisierte Vorfälle bei der Berlinale oder die Ausladung des israelischen Philosophen Omri Boehm bei einer Gedenkfeier in Buchenwald. Repressive Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus würden oft ins Gegenteil umschlagen. »Wird diese Vorstellung der Übermacht der Juden, dann schaffen die tatsächlichen oder vermeintlichen Antisemiten, sich in der Position der Opfer zu stilisieren.«

Stella Leder vom Institut für Neue Soziale Plastik hob die Notwendigkeit von Beratungsangeboten hervor. Viele Kulturinstitutionen seien von Boykottaufrufen betroffen. »Seit dem 7. Oktober 2023 berichteten fast alle israelischen und unterdessen auch die jüdischen Künstler von Boykott, Einschüchterungsversuchen und Antisemitismus, den sie erfahren«, erklärte Leder. Sie forderte gezielte Förderprogramme für jüdische und antisemitismuskritische Künstler sowie ihre stärkere Einbindung in Jurys und Kommissionen.

Strike Germany: Druck von außen

Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat erinnerte in seiner Stellungnahme an die historische Verantwortung Deutschlands und verurteilte jedweden Boykott israelischer Künstler. Die BDS-Bewegung sei zwar im Kultursektor in Deutschland nicht so stark wie in anderen Ländern.

Durch aus dem Ausland gebe es Druck, beispielsweise durch Initiativen wie »Strike Germany«, die fordere, dass internationale Künstler nicht mehr hierzulande auftreten sollten. »Da haben wir heftige Diskussionen und Auseinandersetzungen«, so Zimmermann in der Ausschusssitzung. Um gegenzusteuern, müsse man jene stärken, die sich gegen Antisemitismus zur Wehr setzten und »etwas machen wollen«. Es brauche auch mehr Zusammenarbeit zwischen Israelis und Deutschen.

Hetty Berg, Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, warnte wie Meron Mendel davor, den Antisemitismusbegriff zu instrumentalisieren. Sie betonte ihrerseits die Bedeutung, jüdisches Leben in seiner Vielfalt sichtbar zu machen. »Wer einseitige Bilder von jüdischen Menschen vermittelt und sie ausschließlich als Opfer darstellt, schwächt den Antisemitismus nicht, sondern stärkt ihn«, erklärte Berg.

Ihr Museum lehne Boykotte ab und setze auf Austausch und Kooperation. Sie forderte mehr Ressourcen für Prävention, Schutz und Bildungsarbeit, um jüdische und israelische Kulturschaffende zu unterstützen.

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