Sprachgeschichte(n)

Wenn der Vielfraß achelt

»Achelpeter« nennt man solche Leute. Foto: cc

»Achele, bachele, bofe is die beste meloche« (Essen, Trinken, Schlafen ist das beste Handwerk), zitierte Franz Kafkas Hebräischlehrer Jirí Mordechai Langer in seiner Schrift Das jüdische Ideal der körperlichen Arbeit und seine Schicksale (1928) den »ironisch gemeinten Spruch des reichsdeutschen Jargon«. »Bofen« dürfte, wie das dialektale »pofen«, für »schlafen« stehen.

Seine etymologische Herkunft ist laut Duden ungeklärt. »Bacheln« deutet Abraham Tendlau in seinem Korpus jüdischer Sprichwörter und Redensarten (1860) als »bechern, vom lateinischen poculum, Pokal«. Ingeborg-Liane Schack rückt in Der Mensch tracht un Got lacht (1977) die jiddische Variante »bajchelen« zu den deutschen Verben »picheln« beziehungsweise »pitschen«.

fresser Es bleibt das schöne Verb »acheln« – für das Grimmsche Wörterbuch »ein aus der jüdischen und Gaunersprache entnommenes Wort«, das schon 1572 in Johann Fischarts frühneuhochdeutschem Werk Aller Praktik Grossmutter auftaucht: »wann sie den Hans von Geller (= das grobe Brot) nicht acheln mögen«.

Bis heute steht das über das Rotwelsche in die Umgangssprache gelangte Lexem »acheln« vor allem im Berlinischen, Hessischen, Moselfränkischen, Pfälzischen, Rheinischen und in Wien für »tüchtig und/oder mit Behagen essen«. Es leitet sich vom jiddischen »achilen« her, das wiederum auf das hebräische Verb »a’chal« (essen) und das Deverbativ »achi’lah« (Mahlzeit) zurückgeht.

Aus dieser Wortwurzel entstanden auch jiddische Begriffe wie der »Achler« (Fresser) und der »Achelpeter« (Vielfraß), der bei Auricher, Eichstätter und Engadiner Juden auftauchte. Bei Letzteren heißt es etwa: »Emene Achelpejter sinn aach zwei Stick Kuche nit zu vill.« Im Rotwelschen ist der Achelpeter ein Armenhäusler, dem es an Achelkies (Verpflegungsgeld) für das Acheliniken (Essen) und die Achelsore (Esswaren) fehlt.

tucholsky Auch in der Literatur wurde gern geachelt. »Laß uns nach dem langen Reisen hier ein wenig ruhn und acheln«, heißt es in Karl Immermanns Lustspiel Die Verkleidungen (1828). Kurt Tucholsky witzelte unter dem Pseudonym Theobald Tiger 1929 in der »Weltbühne« in einer Persiflage über das deutsche Vereinsleben: »Der Igel saß stumm, ohne zu acheln und sträubte träumerisch seine Stacheln.«

Der populäre Nachkriegsautor Stefan Andres fragte im Roman Der Knabe im Brunnen (1953): »Willste hören die Spitzmäus‹ acheln?« Dem Hebraisten Werner Weinberg schließlich verdanken wir einen schönen Schüttelreim: »Was nützet mir ein Kachelofen, kann ich mir nichts zum Acheln kofen.«

Meinung

Das Gerücht über Israel

Die Geschichte des Antisemitismus ist eine Geschichte der Lüge. Was früher dem Juden als Individuum unterstellt wurde, wird nun Israel als Nation vorgeworfen

von Daniel Neumann  31.08.2025 Aktualisiert

Medizin

Revolutionäre Implantation

Ein israelisches Biotech-Unternehmen plant die weltweit erste Übertragung künstlichen Rückenmarks

von Sabine Brandes  31.08.2025

Solidarität

Israels Präsident ehrt Springer-Chef Döpfner

Isaac Herzog: »Döpfner handelt aus tiefer Verpflichtung gegenüber den Werten von Freiheit und Demokratie«

 31.08.2025

Aufgegabelt

Spätsommer im Glas: Granatapfel-Slushie

Rezepte und Leckeres

 31.08.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Zwei Croissants, einen starken Kaffee und drei Tagträume von Tel Aviv, bitte

von Nicole Dreyfus  31.08.2025

Interview

»Von Freude und Schmerz geprägt«

Susan Sideropoulos über ihr neues Buch, den Tod ihres Vaters und darüber, wie man in schweren Zeiten glücklich wird

von Mascha Malburg  31.08.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  29.08.2025

Kino

Shawn Levy beginnt »Star Wars«-Dreh

Für Mai 2027 hat Lucasfilm den neuen »Star Wars«-Film mit Ryan Gosling angekündigt. Jetzt sind die Dreharbeiten angelaufen

 29.08.2025

Markus Lanz

Wolkige Rhetorik und rhetorische Volten

In der ZDF-Sendung bemühte sich Kanzleramtsminister Thorsten Frei, den Rüstungsexportstopp seiner Regierung zu erklären, während taz-Journalistin Ulrike Herrmann gar einen »Regimewechsel« in Israel forderte

von Michael Thaidigsmann  29.08.2025