Berlinale-Skandal

Was tun gegen Antisemitismus im Kulturbetrieb?

Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien (Bündnis 90/Die Grünen), bei der Berlinale. Bayerns Staatskanzleichef Herrmann fordert ihren Rücktritt. Foto: picture alliance/dpa

Politik und Kulturbetrieb diskutieren nach israelfeindlichen Äußerungen während der Abschlussgala der Berlinale weiter über den richtigen Umgang mit dem Thema.

Aus Sicht von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat das Filmfestival »schweren Schaden genommen, weil dort Antisemitismus viel zu unwidersprochen geblieben ist«, wie er den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte. Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) forderte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zum Rücktritt auf, weil sie zu spät reagiert habe.

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, stellte bei den Rücktrittsforderungen vonseiten der Union einen »faden Beigeschmack« fest, fragte aber zugleich, ob Roth »überhaupt einen Einfluss auf die Kulturpolitik in diesem Land« habe. Er forderte in der Jüdischen Allgemeinen eine antisemitismuskritische Kulturförderung. »Wir Juden sind es leid, uns immer wieder mit Worten und Versprechungen zufriedengeben zu müssen.«

Der Genozid-Vorwurf

Während der Gala am Samstagabend war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach am Ende seiner Dankesrede für eine Auszeichnung von einem Völkermord.

Diesen Vorwurf erhob Südafrika unlängst gegen Israel vor dem Weltgerichtshof in Den Haag. Israelhasser wiederholen ihn auf Demonstrationen und in den sozialen Medien konstant.

Dabei befindet sich Israel in einem Selbstverteidigungskrieg gegen den palästinensischen Terror, der diesen Krieg begann. Zudem versucht Israel, Opfer unter Zivilisten in Gaza so gut es geht zu vermeiden, auch indem es Fluchtrouten einrichtet und die Bewohner jeweils vor Angriffen auf Terroristen warnt.

Administrative Maßnahmen

Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, plädierte in der Zeitschrift »Politik & Kultur« dafür, die Frage von geeigneten Maßnahmen zur Prävention und Eindämmung von Antisemitismus im Kulturbereich »in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten«. Sie riet der Kulturpolitik unter anderem, Mittel und Zuständigkeiten für antisemitismuskritische Bildungsarbeit stärker zu koordinieren.

Zudem plädierte Wenzel dafür, »den gestiegenen Antisemitismus im Kulturbereich nicht mit zusätzlichen administrativen Maßnahmen einzudämmen, sondern mit dem Bereitstellen zusätzlicher Mittel für die Fortbildung des leitenden Personals von Kultureinrichtungen zur Stärkung ihres antisemitismuskritischen Urteilsvermögens«.

Justizminister Buschmann sieht das Strafrecht gut aufgestellt, um antisemitische Äußerungen zu ahnden. Die strafrechtliche Beurteilung der Vorfälle sei Sache der zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte. Das politische Urteil aber sei für ihn klar: »Antisemitismus ist unerträglich«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Herrmann fordert Rücktritt

Bayerns Staatskanzleichef Herrmann forderte Kulturstaatsministerin Roth zum Rücktritt auf. »Dieser offene Antisemitismus in der Kulturszene ist erschreckend«, sagte er in München. »Frau Roth ist offenbar völlig überfordert mit dieser Aufgabe, weshalb sie auch als Bundeskulturstaatsministerin untragbar geworden ist und zurücktreten muss.«

Wie zuvor andere Unionspolitiker bezog auch Herrmann den Berliner Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nicht in die Kritik mit ein. Wegner und Roth verfolgten die Gala in unmittelbarer Nähe. Beide reagierten erst anschließend und kündigten Untersuchungen der Vorgänge an. Die Berlinale wird vom Bund getragen und vom Land Berlin bezuschusst.

Roths Amtsvorgängerin Monika Grütters (CDU) sagte dem Stern: »Versagt haben die Kulturverantwortlichen, die Direktoren, die Institutionen, vor allem die Kulturpolitik.« Zugleich warnte sie vor einer Debatte über die Streichung von Geldern für umstrittene Kunstprojekte.

»Die auskömmliche Finanzierung der Kultur in Deutschland infrage zu stellen, ist fatal, weil das am Ende die Freiheit der Kunst gefährdet. Damit schüttet man das Kind mit dem Bade aus«, sagte Grütters. »Wir müssen auch Widerspenstiges aushalten, das ist der eigentliche Wert der Kultur. Eine Demokratie lebt vom Widerspruch.« Gleichzeitig forderte sie »Leitplanken gegen antiisraelische Hetze und gegen Antisemitismus«. dpa/ja

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