Nachruf

Vorbei ist nicht vorbei

Roberto Schopflocher (1923–2016) Foto: German Garcia Adrasti

Nachruf

Vorbei ist nicht vorbei

Zum Tod des deutsch-argentinischen Schriftstellers Roberto Schopflocher

von Marko Martin  25.01.2016 16:02 Uhr

Wer den Schriftsteller Roberto Schopflocher in den letzten Jahren in Buenos Aires besuchte, erhielt zuvor freundliche Kenntnis über die präferierte Uhrzeit (»das Zeitfenster meines Lebens schließt sich, ich muss physisch haushalten«).

Auch der Weg ins Stadtviertel Olleros wurde detailliert beschrieben, in einem an Stefan Zweig und Jakob Wassermann geschulten Deutsch, das der 1923 in Fürth Geborene 1937 als Fluchtgepäck mit ins Exil genommen hatte – ebenso wie die Bibelübersetzung Martin Bubers, dem er als Jugendlicher begegnet war.

Neugier Roberto Schopflocher, der zusammen mit seiner fast gleichaltrigen Frau Ruth dann ein äußerst charmanter Gastgeber war, sprach genauso präzise wie er schrieb – skrupulös formulierte Mails und zahlreiche Romane und Erzählungen, zuerst in spanischer, dann ab Ende der 80er-Jahre auch wieder in deutscher Sprache. Das war ein Abwägen und Beobachten, eine humane Neugier ohne Illusion über die Ambivalenzen menschlichen Seins.

Im Argentinien der 40er-Jahre im Wortsinn in die Pampa gekommen, um in den einst von Baron Hirsch gegründeten jüdischen Landwirtschaftssiedlungen die Familie zu ernähren, wurde Schopflocher später so etwas wie der Tschechow der jüdischen Gauchos. Die Bücher des Lebenserfahrenen – darunter seine 2010 erschienene Autobiografie Weit von wo – haben keine Patina angesetzt.

Noch sein letztes Werk, der 2015 publizierte Roman Das Komplott zu Lima, die kontinentübergreifende Geschichte der sogenannten »Marranen«-Verfolgung, war ein psychologisch nuanciertes Epos, wie man es hierzulande längst nicht mehr schreibt. »Zu schreiben vermag«, hätte Señor Roberto gesagt und sich dann mit einem feinen Lächeln zur Räson gerufen: »Auf dass meine Diktion nicht allzu altväterlich klinge.«

Ethik Ja, er war ein bedeutender Schriftsteller und vor allem ein feiner Mensch, bis zuletzt von geradezu jugendlicher Neugier. Und er war einer der Letzten jener Generation, die auch unter Extremerfahrungen ihre Ethik bewahrt hatte und gerade deshalb auf moralistisches Tremolo verzichtete.

Am vorigen Samstag verstarb er im hohen Alter von 92 Jahren im Kreis seiner Familie. Robert-Roberto, wunderbarer alter Freund, gläubiger Agnostiker mit einem Faible für Science-Fiction-Spekulation, wo auch immer du jetzt bist – möge es dir auch weiterhin gut gehen!

Essay

Übermenschlich allzumenschlich

Künstliche Intelligenz kann Großartiges leisten. Doch nicht zuletzt die antisemitischen Ausfälle von Elon Musks Modell »Grok« zeigen: Sie ist nicht per se besser als ihre Schöpfer. Ein alter jüdischer Mythos wirft Licht auf dieses Dilemma

von Joshua Schultheis  27.08.2025

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025

Nominierungen

Grimme Online Award: Nahost-Konflikt und deutsche Geschichte im Fokus

In den vier Kategorien kann die Jury des Grimme Online Awards aus den 25 Nominierten bis zu acht Preisträger auswählen

 26.08.2025

Berlin

Götz Aly: Kaum Parallelen zwischen 1933 und heute

Wie konnten die Deutschen den Nazis verfallen und beispiellose Verbrechen begehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Historiker in seinem neuen Buch. Erkennt er Parallelen zu heute?

von Christoph Driessen  26.08.2025

Oberammergau

»Judenfreund«: Regisseur Stückl beklagt Anfeindungen

Christian Stückl leitet die berühmten Passionsspiele in Oberbayern. Lange wurde er dafür gewürdigt, das Werk von judenfeindlichen Passagen befreit zu haben. Nun dreht sich der Wind

 25.08.2025

Kritik

Ukraine verurteilt Auftritt Woody Allens bei Moskauer Filmwoche

US-Filmregisseur Woody Allen lässt sich per Video beim Moskauer Filmfestival zuschalten. In der von Russland angegriffenen Ukraine sieht man den Auftritt alles andere als gern - und reagiert prompt

 25.08.2025