Zeitgeschichte

Ur-Vater der Grünen

Der Publizist Robert Jungk (l.) und der amerikanische Friedensaktivist Daniel Elsberg bei der Blockade des US-Raketendepots im württembergischen Mutlangen am 1. September 1983 Foto: picture-alliance/ dpa

»Niemand bezweifelt seine geistige Vaterschaft für die Existenz der Grünen«, hieß es in der »Frankfurter Rundschau« kurz nach Robert Jungks Tod am 14. Juli 1994 in einem Nachruf. Meistens wurde er als Sachbuch-Bestsellerautor, Wegbereiter der Zukunftsforschung sowie Erfinder der »Zukunftswerkstätten«, Alternativer Nobelpreis-Träger und »Agitator fürs Überleben« gewürdigt.

Aber schon seine Zeitgenossen nannten ihn den »Ur-Vater der grünen Bewegung« oder auch »Gründungsvater der Grünen«. Er war eng mit Petra Kelly und Eva Quistorp verbunden und vor allem – wie sich Letztere gerne erinnert – Vorbild und Initiator. Und Jungk setzte Akzente. Er besaß eine enorm starke Ausstrahlung auf die Protestbewegungen seiner Zeit.

Die Zuschreibung der Vaterschaft ist auch insofern nachvollziehbar, weil der 1913 in Berlin geborene Jungk gut eine Generation älter war als viele Gründungsmitglieder der Grünen. Als die Partei Ende der 70er-Jahre Gestalt annahm, hatte Jungk bereits über zwei Jahrzehnte gegen die Atomrüstung protestiert und sich für Umwelt und Frieden eingesetzt.

Vordenker und charismatischer Redner

Er galt ferner als Vordenker, charismatischer Redner auf Großkundgebungen, als »Europas meistbeschäftigter Konferenzredner«, als Vermittler zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Vielen ist Jungk ebenfalls als Berichterstatter über Hiroshima in Erinnerung, das er besucht hatte.

In den 1920er- und 30er-Jahren war er in der deutsch-jüdischen Jugendbewegung aktiv.

In seinen Bestsellern hatte er unter anderem vor den Gefahren des technischen Fortschritts gewarnt, die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftler aufs Eindringlichste thematisiert und über die Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki berichtet. Besonders viel Aufmerksamkeit erregte er mit seinem 1977 erschienenen Sachbuch Der Atom-Staat. Darin problematisierte er die Idee einer vermeintlich friedlichen Nutzung von Atomenergie und beschrieb die neuen Risiken, die die technische Nutzbarmachung der Kernspaltung mit sich brachte. Eine seiner Antworten auf brennende Probleme der Zeit lautete Konsumverzicht. Auch trieb er die Entwicklung alternativer Wirtschaftsmodelle voran.

Angesichts begrenzter Ressourcen, der bereits fortgeschrittenen Zerstörung der Umwelt und der massiven Ausbeutung sogenannter Entwicklungsländer, so Jungks Credo, sei dies ohnehin ein Gebot der Stunde. Sein Engagement für die Umwelt ist aber keineswegs nur in Zusammenhang mit den Entwicklungen der Nachkriegszeit zu verstehen.

Faszination für alles Wilde und Urwüchsige

So war er in den 1920er- und 30er-Jahren in der deutsch-jüdischen Jugendbewegung aktiv, was ihn insbesondere in seinem Engagement für die Umwelt nachhaltig prägen sollte. Im Rahmen der Treffen seines Wanderbundes kam Jungk viel mit der Natur in Berührung und entwickelte eine Faszination für alles Wilde sowie Urwüchsige. Auch faszinierte ihn die Frage nach der Rolle der Natur in der Romantik, wobei er in diesen Jahren von seinen antibürgerlichen Kameraden auch stark politisiert wurde. Mit den Mitgliedern seines Wanderbundes setzte er sich bereits damals für den Schutz der Natur ein.

Hinzu kamen seine Beobachtungen über die Zerstörung der Lebensgrundlagen durch den Zweiten Weltkrieg, die schließlich zu einem ersten entscheidenden Wendepunkt in seinem Denken wurden. Der zweite war dann die Begegnung mit den Opfern des ersten Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Er hatte genug davon, dem Unheil hinterherzulaufen, vielmehr sollte man ihm zuvorkommen und es verhüten. So begann er, sich für die »Erhaltung der Welt« zu engagieren.

Diese Wendung zur Zukunft verband Jungk, der 1930 Martin Buber kennengelernt hatte und von ihm zutiefst beeindruckt war, mit seinem Judentum. In einem Interview lieferte er eine Erklärung: »Wenn ich mich für eine humanere Zukunft einsetze, kommt das im Grund aus einem messianistischen Impuls heraus. (…) Ich könnte nicht an eine humanere Zukunft der Gesellschaft glauben, wenn ich nicht denken würde, dass wir durch das, was wir tun, den Messias – gar nicht als reale Person, sondern ein Symbol für ein Reich des Friedens – legitimieren, dass wir zeigen müssen: Er wird erwartet.«

Kontakte und Auftritte

Dieser frühe Einsatz für die Zukunft ließ ihn – nach langer Zeit im Exil während der NS-Zeit sowie zehn weiteren Jahren in den Vereinigten Staaten – die Öffentlichkeit suchen, nachdem er nach Europa zurückgekehrt war. 1958 wurde Jungk eingeladen, bei einer der ersten großen Versammlungen der »Kampf dem Atomtod«-Bewegung zu sprechen. Von diesem Moment an ergaben sich unzählige weitere Kontakte und Auftritte.

»So bin ich als Augenzeuge und Warner vom Schreibtisch auf die Straßen und Versammlungsplätze gelangt«, erzählte der Sohn eines Schauspielerpaares, der sich auf der Bühne, auch wenn es eine politische war, immer sehr wohlzufühlen schien. Die Tatsache, dass Jungk ein sehr begabter Redner war, der quasi aus dem Stegreif gleichermaßen ergreifend wie auch druckreif sprechen konnte, verstärkte seine Bühnenpräsenz umso mehr.

Die Bewegung »Kampf dem Atomtod« war die erste Gelegenheit, die Öffentlichkeit zu suchen.

Zweifellos gab es eine ganze Reihe von »Müttern« und »Vätern« der grünen Bewegung und jene, die die harte Gründungsarbeit der Partei schulterten. Jungk hatte schon als Schulsprecher gemerkt, dass er kein organisatorisches Talent und keine Geduld für langwierige Sitzungen besaß, und zog ein Leben in Unabhängigkeit und ohne Parteianbindung vor. Er sah sich vielmehr als Mitglied eines großen Orchesters, in dem er ein Instrument spielte. Jungk wusste um seine Stärken als Redner, als Netzwerker und auch um sein intellektuelles Potenzial.

Es lag ihm fern, irgendeine Führungsrolle zu übernehmen – das war ein Echo der Erfahrungen, die er in den 30er-Jahren machen musste. Dass Jungk sich dennoch von den österreichischen Grünen überreden ließ, mit 79 Jahren 1992 als ihr Präsidentschaftskandidat anzutreten, war vielmehr sein Versuch, im hohen Alter noch einmal seine Botschaften zu verbreiten.

Bis zuletzt reiste Jungk durch Europa und die ganze Welt, publizierte und wirkte, unterstützte Gruppen und Bewegungen und gab diesen mit dem von ihm erfundenen Zukunftswerkstätten das Handwerkszeug, in einem partizipativen Prozess aus Betroffenen endlich Beteiligte, an der Veränderung mitwirkende Akteure zu machen. Er schenkte damit der Welt eine Methode zur Erneuerung der Demokratie – Konzepte, die in Krisenzeiten wie jetzt erneut Beachtung verdienen.

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