Vor drei Jahren widmete sich das Jüdische Museum Frankfurt der Rache. Ein in mehrfacher Hinsicht für Juden komplexes Thema: in der inneren Diskussion, halachisch wie moralisch seit jeher; äußerlich gezwungenermaßen seit der Entstehung des Christentums und der Zuschreibung, das Volk des »rächenden, strafenden Gottes« zu sein. (Während die Christen postulierten, ihr Gott sei der »liebende« – dann gibt es also zwei?)
Eine Tagung der Jüdischen Akademie im Zentralrat der Juden nahm sich nun noch einmal im geschützten Raum des Themas an unter dem Aspekt: »Kulturelle Inszenierungen im Film«. Passenderweise, für deutsch-jüdische Geschichte in der Nussschale, fand sie in der Murnau-Stiftung statt, in der unter anderen auch die NS-Vorbehaltsfilme bewahrt werden und die vis-à-vis den Gleisen am Schlachthof liegt, dem Sammelort für die Wiesbadener Deportationszüge.
Intellektuelle Verarbeitung und emotionale Überwältigung
Rache, ein »Trigger-Thema« für Juden, so nannte es Doron Kiesel, Direktor der Jüdischen Akademie; groß war wohl deshalb der Zuspruch. Obwohl als Filmtagung deklariert, wurde die Veranstaltung durch ein umfassend anregendes Programm von Vorträgen eingehegt, deren intellektueller Verarbeitung gewissermaßen die Filme mit ihrer emotionalen Überwältigung in die Quere kamen. Exzellente Referenten waren vor Ort wie der in der jüdischen Literatur ungemein beschlagene Sebastian Schirrmeister, der über die in der Literatur ausgelebten Rachefantasien seit der Schoa sprach, aber auch über Juden (ab)wertende Übersetzungen älterer Bücher bis hin zur Bibel.
Christian Staffa, auch Antisemitismusbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), deklinierte den theologisch waghalsig begründeten Antijudaimus des Christentums von Beginn an in einem Parforceritt engagiert durch. Ein Antijudaismus, der fortlebe in der Liturgie, die Psalmen beschneidend, und in der Ablehnung des sogenannten »Alten Testaments«, dass auch heute noch viele für »überflüssig« hielten. Weil sich das »messianische Glücksversprechen nicht einstellt«, führe »die narzisstische Kränkung als ›second best‹ Religion, plus dem Nichteintreten des Erlösungsgefühls zu abstrusen theologischen Konstruktionen«, so Staffa.
»Wer vom christlichen Antisemitismus nichts versteht, versteht auch nichts vom Antisemitismus. Und das ist ein Problem in der heutigen säkularen Welt«, sagt Christian Staffa.
»Wer vom christlichen Antisemitismus nichts versteht, versteht auch nichts vom Antisemitismus. Und das ist ein Problem in der heutigen säkularen Welt.« Und: »Die christliche Selbstvergewisserung funktioniert zu Lasten der Juden.« In der Wissenschaft sei es »lange überarbeitet«, dass das »alttestamentarische Auge um Auge…« immer als materielle Schadensersatzregulierung und niemals eins zu eins in der jüdischen Tradition interpretiert wurde; dass die Tora Rache verbietet und Vergeltung barbarisch ist. Doch im Alltagschristentum, fürchtet Staffa, lebten die wirkmächtigen Bilder und Mythen fort, die die Kirche geschaffen habe: gedanklich und sprachlich.
Schweigen über die Gräueltaten des 7. Oktober
Die christliche Selbstvergewisserung funktioniere zu Lasten der Juden. Judas werde so »zum Glücksheil«, aus Judas die Juden, vom Mittelalter zum Nationalsozialismus bis heute. Dies zeige sich im säkularen Westen in der Berichterstattung über Israel. Und im Schweigen über die Gräueltaten des 7. Oktober 2023. Die sogenannte »Vorgeschichte« ist eben eine sehr lange.
Ein exzeptioneller Vortrag, der viele aufwühlt. Im Saal und im Foyer sprechen viele der Älteren anschließend über den Schock der Erfahrung, »plötzlich ganz alleine dazustehen«, nach Jahrzehnten im Hochschulwesen, nach Jahrzehnten engagiert in christlich-jüdischen Organisationen.
Zum Rachemotiv aus Sicht der Psychoanalyse sprach Hans-Jürgen Wirth über Hass, Neid, Eifersucht als zutiefst menschliche Gefühle, die keiner moralischen Bewertung unterliegen – nur das Handeln aus diesen Motiven.
Folgte man den Ohren in der Kaffeepause, hatte das geradezu therapeutische Wirkung bei nichtjüdischen Teilnehmern. Denn es zivilisiert, die Rache dem »rächenden Gott« zu überlassen und für sein Handeln und Denken selbst Verantwortung zu übernehmen. Nebenbei: Unser modernes Strafrecht fußt auf rabbinischen Überlegungen. Der Mensch ist, wie er ist, nur für seine Taten soll er gerichtet werden, eingedenk der Umstände.
Vergewaltigung und Selbstjustiz
Seltsam eindimensional aus dem Rahmen fiel da der Vortrag von Christine Künzel über »Rape and Revange: Zwischen Selbstjustiz, Coping-Strategie und pädagogischer Mission«. Nur stichwortartig und eher pflichtschuldig erwähnte die Literatur-und Kulturwissenschaftlerin historisch-literarische Erzählungen weiblicher Rache, um dann wohl auf ihre »Mission« zu kommen: Vergewaltigungen würden von der Justiz immer noch als »Kavaliersdelikt« behandelt. Das entspricht schlicht nicht der Realität und wird auch dem komplizierten Sexualstrafrecht nicht gerecht.
Schlimmer noch: diese tradierte, mantraähnliche Behauptung trägt sicherlich nicht dazu bei, dass mehr Frauen Täter anzeigen und die Courage zu haben, den Weg eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gehen. Sondern sie redet einem Der Pate-artigen Denken das Wort (»Für Gerechtigkeit muss ich zu Don Corleone gehen«), also der Selbstjustiz, die man den Männern überlässt. Bezeichnend findet die Rezensentin, dass die feministisch-progressive Referentin auf die Anregung Kiesels, es wäre in diesem Zusammenhang hilfreich, den Blick über die moderne westliche Binnenwelt hinaus zu richten, antworten muss: Da habe sie keine Kompetenz. Der Erziehungswissenschaftler Kiesel gibt ihr das süffisant »als Hausaufgabe mit«. Gelächter.
Cineasten bot die Tagung eine interessante Auswahl an Filmen, vom sicher so gut wie unbekannten Hollywood-Streifen Address Unknown aus dem Jahre 1944, dem von Artur Brauner 1989 produzierten Der Rosengarten, dem 2017 realisierten Film Die Winterjagd bis zum für die Tagung am passendsten Plan A, der die Geschichte des Racheplans der jüdischen Gruppe »Nakam« erzählt, sich nach der Schoa durch die Vergiftung der Trinkwasserversorgung an den Deutschen zu rächen. Bekanntlich wurde nichts daraus.
Ganz gleich, wie stark oder schwach Inszenierungen sind: Bilder wirken - und manipulieren. Mit Ton und bewegt umso mehr. (Hitlers Propagandaminister wusste das sehr genau.) Es entspinnt sich direkt im Anschluss an die jeweilige Filmvorführung keine Diskussion, es gibt nur vereinzelte Wortmeldungen, Befinden wird geäußert. Warum am ersten Abend auch Quentin Tarantinos Inglourious Basterds mit seinen Gewaltexzessen gezeigt wurde, können nur Filmenthusiasten, Filmwissenschaftler und Tarantino-Fans verstehen. Die Verfasserin gesteht, nichts davon zu sein.