Literatur

Thomas Mann in Drohobycz

Besucher in einer ihm fremden Welt: Maxim Biller Foto: dpa

Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):

Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.

Reden wir nicht über Maxim Biller, reden wir über sein neues Buch, die Novelle Im Kopf von Bruno Schulz. Das ist hoffentlich im Sinne des Autors.

Bruno Schulz, der jüdische Schriftsteller aus Drohobycz, ist verwirrt, weil in seiner kleinen polnischen Heimatstadt 1938 jemand auftaucht, der von sich behauptet, Thomas Mann zu sein. Der Fremde sieht Mann zwar ähnlich, benimmt sich aber doch merkwürdig – er wartet angeblich auf ein Visum für die USA und erstellt in der Zwischenzeit eine Liste mit allen Juden des Ortes. Schulz macht das Angst, also schreibt er einen Brief an den echten Thomas Mann – auch in der Hoffnung, so vielleicht übersetzt und im Ausland verlegt zu werden.

Biller bezieht sich damit auf eine historische Tatsache: In der Tat schrieb Schulz in den 30er-Jahren an Thomas Mann und schickte ihm auch seine auf Deutsch verfasste Erzählung Die Heimkehr. Die Korrespondenz und die Erzählung sind nicht erhalten. In diese Lücke stößt Biller jetzt.

unheimlich Bruno Schulz wurde 1892 in Drohobycz geboren. In den 30er-Jahren veröffentlichte er zwei Erzählbände, die er auch selbst illustrierte. Nebenbei arbeitete er als Lehrer. Im Zweiten Weltkrieg wurde Drohobycz erst von den Sowjets, dann von den Nazis besetzt. Im Ghetto der Stadt kam Schulz unter den Schutz des SS-Manns Felix Landau, für den er ein Wandgemälde gestaltete. 1942 wurde er von einem anderen SS-Mann erschossen, der mit Landau einen Streit gehabt hatte und deswegen seinen »Leibjuden« tötete.

Schulz’ Geschichten beschwören das Unheimliche. Jozef, der Protagonist des Erzählzyklus Das Sanatorium zur Sanduhr, etwa wird von Farben und Formen überwältigt: »Der Frühling zog das Weiß aus den Häuserfassaden und breitete es auf dem Marktplatz wie Spielkarten aus« ist ein typisches Schulz-Bild.

Maxim Biller sieht hinter diesen Geschichten einen verstörten Mann, der von merkwürdig schmerzhafter Lust beseelt ist. Dieser Bruno Schulz ist ein ungewöhnlicher Biller-Protagonist, denn er hat Angst. Keine Melancholie oder Befürchtungen, kein richtiger Mann zu sein, sondern panische, im Schrank zitternde Angst. Biller macht ihn zum Propheten der Schoa: »Millionen nackter Männer, Frauen und Kinder, die sich nur noch auf allen vieren fortbewegen konnten. Und überall im Land brannten kleine und große Feuer.«

assimilation Im Grunde möchte Schulz, dass Thomas Mann ihn – und die anderen – vor dem kommenden Unglück rettet. Dabei begreift er nicht, dass der »gute« Thomas Mann im Exil und der »böse« zusammengehören. Der »böse« Thomas Mann, das ist der Autor der Buddenbrooks, der dort die unangenehme, weil »jüdisch versippte« Familie Hagenström auftreten lässt und später im Doktor Faustus die Teufelsfigur Chaim Breisacher zum Wegbereiter der Nazi-Herrschaft macht. Das ist eklig, und wer Thomas Mann – wie er es selbst getan hat – zur aufgeklärten und demokratischen Stimme eines »anderen Deutschlands« stilisiert, der lügt. Recht hat Biller da.

Aber dabei belässt er es leider nicht. Ein Jude, der Thomas Mann liest, ist bei Biller auch ein Symbol für die vergebliche Hoffnung auf Assimilation: Juden, die an ein kultiviertes und schönes Deutschland glauben, die in der Synagoge Orgel spielen, um allen, vor allem sich selbst, zu zeigen, wie sehr sie dazugehören, wie Biller es mal ausgedrückt hat.

selbstbildnis Nur: Das hat mit Bruno Schulz sehr wenig zu tun. In dessen Welt bewegt sich Biller eher unsicher. Gelegentlich streut er an sich korrekt recherchierte Details über Schulz so plump in den Text ein, dass sie wie Steine zu Boden fallen. An anderen Stellen irrt er einfach. Schulkinder, die sich ausmalen, was für tolle Geschenke sie zu Chanukka bekommen, als wäre es das jüdische Weihnachten? Vielleicht in Berliner Bürgerstuben, aber bestimmt nicht in Drohobycz 1938.

Ein kleines Detail vielleicht – und doch eine Erklärung, warum Im Kopf von Bruno Schulz sich so leer anfühlt. Der Titel bleibt Behauptung. Biller verwandelt Schulz in eine seiner Figuren und damit in ein Abbild seiner selbst. Doch Bruno Schulz war kein an sich selbst leidender Jude im heutigen Deutschland, und Maxim Biller ist kein Jude im polnischen Ghetto. Vielleicht hätte er lieber ein Buch mit dem Titel »Im Kopf von Thomas Mann« schreiben sollen.

Maxim Biller: »Im Kopf von Bruno Schulz«. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 80 S., 16,99 €

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  16.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  16.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025