Wer am 4. November 1977 in West-Berlin war, hatte eine seltene Gelegenheit: Die als The Brecker Brothers bekannten Brüder Michael und Randy Brecker traten an diesem großen Tag in der Philharmonie auf. Sie lieferten mit ihrer Band eine einmalige Mischung aus Jazz-Funk- und Jazz-Rock-Kompositionen. In Deutschland gaben sie nur ab und zu Konzerte. Mit der WDR Big Band gaben sie sich bei den Leverkusener Jazztagen im Jahr 2003 eine mitreißende Vorstellung.
Während sich ihre Genres noch entwickelten, spielten die jüdischen Brüder bereits 1975 beeindruckende Stücke, die schnell Kultstatus erlangten. Die aus Philadelphia stammenden Breckers beeinflussten viele Kollegen.
Auf ihrem ersten Album The Brecker Bros. hatten sie Unterstützung vom Saxofonisten David Sanborn und einer aus weiteren Meistern ihres Fachs bestehenden Gruppe an Nicht-Bläsern. Die Aufnahme faszinierte Hörer, die das zeitweise etwas angestaubte Jazz-Genre offen definierten. Was Michael und Randy Brecker schon auf der ersten Platte an Kompositionen und Arrangements präsentierten, verdiente das Attribut umwerfend.
Trompete oder Klarinette
Die Nummer »Some Skunk Funk« wurde ein Musterbeispiel des amerikanischen Jazz-Funk. Dafür wurden jede Menge Improvisation, tonnenweise Energie, Know-how und komplizierte Rhythmen in den Topf geworfen, gut durchgekocht und umgerührt. Das Ergebnis war ein regelrechtes Feuerwerk in einer Intensität, die vor der Veröffentlichung noch niemand auf diesem Planeten jemals vernommen hatte. Auch die anderen Stücke auf dem Album, darunter »A Creature of Many Faces«, fielen genial aus.
Im November 1945 wurde Randy Brecker geboren. Vater Bob Brecker war ein Klavier spielender Rechtsanwalt, seine Mutter Sylvia Porträtzeichnerin. Diese jüdische Familie wuchs im März 1949 weiter, als Michael geboren wurde.
»Er war ein semiprofessioneller Jazzpianist und Trompetenfanatiker«, sagte Randy Brecker einst über seinen Vater. »Als ich acht war, boten sie in der Schule nur Trompete oder Klarinette an. Ich entschied mich für die Trompete, nachdem ich zu Hause Miles Davis, Clifford Brown und Chet Baker gehört hatte. Mein Bruder Michael wollte nicht dasselbe Instrument spielen wie ich, also entschied er sich drei Jahre später für die Klarinette.« Später nahm er das Saxofon in die Hand.
Schweiß und Tränen
Als das Jahr 1967 anbrach, heuerte Randy Brecker bei einer Band an, die von den Erfindern des Jazz-Rock betrieben wurde, nämlich Blood, Sweat and Tears. Als dieses Projekt nach dem Album Child is Father to the Man zunächst aufgelöst wurde, landete Randy Brecker bei Meister-Jazzern wie Horace Silver und Art Blakey.
In der nächsten Phase gründete er mit seinem Bruder Michael, dem Gitarristen John Abercrombie und dem Schlagzeuger-Genie Bill Cobham die Fusion-Gruppe Dreams. Diese Combo überlebte auch nur zwei Alben, aber mit all dieser Erfahrung war der Grundstein für künftige Projekte gelegt.
Michael Brecker folgte seinem Bruder Randy an die Indiana University, wo er sogleich Gründungsmitglied einer Jazz-Rock-Gruppe namens Mrs. Seamon’s Sound Band wurde. Dieses Fieber loderte offensichtlich auch in ihm. Allerdings kam es in Chicago zum Selbstmord eines Mitgliedes der Combo. Michael Brecker wurde nach dem Vorfall im Gegensatz zu seinen Bandkollegen nicht vorläufig festgenommen, da er nicht anwesend war.
Schwer getroffen
Der schreckliche Moment soll Michael Brecker psychisch schwer getroffen haben. Er trug ihn offenbar sein ganzes Leben lang mit sich herum. Zugleich spielte auch er mit vielen großen Künstlern – und zwar teilweise zusammen mit Randy, aber auch ohne ihn. Erstmals war er 1969 auf Randys erstem Soloalbum Score zu hören.
Dann, ein paar Jahre später, 1974, war der Moment gekommen: The Brecker Brothers wurden gegründet. Dies war ein Glücksfall für die Genres, auf die sich die jüdischen Brüder konzentrierten. Jedes Jahr hauten sie ein neues Album raus. 1976 war es Back to Back, in das die Faszination des gerade aufkommenden Funk eingebaut wurde. Mehrere gesungene und besonders coole Funk-Nummern sind hier enthalten, aber auch instrumentale Contemporary Jazz-Balladen wie »Lovely Lady« und smart arrangierte Jazz-Funk-Stücke wie »Night Flight«. Die unglaublichen Arrangements der Brecker Brothers versetzen Liebhaber bis heute ins Staunen.
Auf Don’t Stop the Music lieferten die Brüder 1977 unter anderem den vielschichtigen Kult-Klassiker »Funky Sea, Funky Dew«. Als mit dem Jahr 1980 das nächste Jahrzehnt über die Welt hereinbrach, kam das Album Detente. »Squish«, die erste Nummer auf dieser Scheibe, ist eines der brillantesten und energiegeladensten Jazz-Funk-Stücke aller Zeiten.
Auflösung und Rückkehr
Im Jahr 1982 war erstmal Schluss. Die Brecker-Brüder lösten ihre eigene Band auf und spielten stattdessen mit Künstlerkollegen. Im Fall von Michael Brecker waren es ohne Übertreibung so gut wie alle amerikanischen Soul-, Funk- und Jazz-Acts, die es gab, inklusive der Soul-Größe Chaka Khan, des Gitarristen und Sängers George Benson, des Allround-Genies Quincy Jones, der Funk-Band The Brothers Johnson, der Fusion-Formation Spyro Gyra, der japanischen Jazz-Funk-Gruppe Casiopea und des brillanten Flötisten Hubert Laws. Hinzu kamen jüdische Singer/Songwriter wie Carly Simon, Paul Simon und Art Garfunkel.
Randy Breckers Aktivitäten sahen ganz ähnlich aus. Eine Kollegin, mit der er spielte, die brasilianische Pianistin und Sängerin Eliane Elias, heiratete er Anfang der 1980er Jahre und nahm das Album Amanda mit ihr auf. Es war ihrer gemeinsamen Tochter Amanda Brecker gewidmet, die heute ebenfalls Vollblutmusikerin ist. Auch ihre Interpretation der von Antônio Carlos Jobim geschriebenen Bossa Nova-Nummer »Felicidade« (siehe unten) kann ihre Hörer zu Tränen rühren.
Die Brecker-Brüder waren schon früh als Gastmusiker gefragt. 1976 wurden sie sogar Teil von Frank Zappas legendärem Live-Album, indem sie sich im legendären New Yorker Palladium mit ihm auf die Bühne stellten. Auch spielten sie 1984 mit Quincy Jones und Frank Sinatra das Album L.A. is My Lady ein. Zehn Jahre lang betrieben sie mit »Seventh Avenue South« ihren eigenen Jazz-Club in New York.
Stechende Rückenschmerzen
Im Jahr 1992 waren sie plötzlich wieder in ihrer eigenen Band vereint, als das Album The Return of the Brecker Brothers erschien. Eine weitere Aufnahme kam zwei Jahre später.
Michael Breckers Terminkalender wurde 1995 nach dem endgültigen Aus der Formation eher noch voller als leerer. Er war hyperaktiv und erhielt für seine Arbeit mehrere Grammys. Als er 2004 auf dem Mount Fuji Jazz Festival in Japan spielte, verspürte er plötzlich stechende Rückenschmerzen. Diese hingen offenbar mit dem Myelodysplastischen Syndrom zusammen, mit dem er im darauffolgenden Jahr diagnostiziert wurde.
Nun brauchte er einen Stammzellenspender, um sein Leben zu retten. Er fand allerdings niemanden, dessen Gene den seinen ähnelten. Ende 2005 erhielt er Zellen von einem Spender, der nur teilweise passte. Am 23. Juni 2006 gab Michael Brecker sein letztes Konzert. Er starb am 13. Januar 2007 in einem New Yorker Krankenhaus. Zwei Tage später wurde er in Hastings-on-Hudson (Bundesstaat New York) beerdigt. In seiner Musik und in der Erinnerung seiner Familie und Freunde lebt Michael Brecker weiter.
Zurück nach Brasilien
Randy Brecker wird im November 2025 80 Jahre alt. Seit dem Tod seines Bruders ist er weiterhin in vielen Aufnahmestudios und auf noch mehr Bühnen anzutreffen. Ein »Tribute to The Brecker Brothers«-Konzert gab er 2010 in Japan. 2022 nahm er akustische Jazz-Kompositionen von Michael auf. Auch dazwischen schuf er schöne Töne, darunter auf seinem Album Randy in Brazil, das 2008 in São Paulo aufgenommen wurde.
Die Brecker Brothers setzten die Messlatte gleich zu Beginn sehr hoch an. Wer Easy Listening will, wird anderswo fündig. Liebhaber, die hingegen die qualitativ hochwertigste Jazz-Funk-Melange von Michael und Randy Brecker einmal tief inhalierten, sind ihr ein Leben lang ausgeliefert. Dieser Sound macht süchtig. This is Jewish Jazz-Funk at its best.
»Imanuels Interpreten« ist eine Kolumne über jüdische Musiker von Imanuel Marcus. E-Mail: marcus@juedische-allgemeine.de