Schicksal

Tausche Kafka gegen Scholem

Vor israelischen Gerichten wird seit Monaten um Papiere aus dem Nachlass von Franz Kafka gestritten. Es handelt sich um Manuskripte, die Kafkas Freund und Nachlassverwalter Max Brod seiner langjährigen Sekretärin Esther Hoffe vermacht hatte. Nach ihrem Tod gingen die Papiere in den Besitz von deren Töchtern über. Doch jetzt erhebt das israelische Nationalarchiv Anspruch auf die Dokumente, um zu verhindern, dass die Hoffes die literarischen Schätze nach und nach alle ins Ausland verkau- fen. Berühmte Kafka-Schriften wurden bereits in London versteigert, wie das Manuskript des Prozess, das 1988 vom Deutschen Literaturarchiv Marbach für rund zwei Millionen US-Dollar erworben wurde.

Das ganze Problem würde sich wahrscheinlich nicht stellen, wenn 1923 eine gewisse Familie Bergmann in Jerusalem anders entschieden hätte. Damals wünschte sich der überzeugte Zionist Kafka nichts sehnlicher, als nach Palästina auszureisen. Sein alter Schulfreund Hugo Bergmann, Bibliothekar am hebräischen Nationalarchiv, hatte bei einem Besuch in Prag den Schriftsteller dazu ermuntert. Sogar ein Zimmer in seiner Jerusalemer Wohnung bot Bergmann Kafka an. Geplant war, dass Bergmanns Frau Else den Autor bei der Schiffsreise nach Haifa begleiten sollte.

ausgeladen Doch dann besann der Gastgeber sich anders. Kafka war schwer lungenkrank, und Hugo Bergmann machte sich Sorgen, dass der Schriftsteller für ihn, seine Frau Else und ihre drei Kinder zu einer Belastung werden könnte. Seine Einladung zurückzuziehen, traute er sich aber nicht. Stattdessen schob er die Entscheidung seiner Frau zu. Und Else Bergmann schrieb Kafka einen abratenden Brief: Die Reise könne zu hart werden, Palästina sei zu gefährlich, außerdem seien auf dem Schiff »alle Plätze schon vergeben«. Kafka reagierte auf die Ausladung mit strapazierter Höflichkeit und einem Hauch Sarkasmus, der vielleicht eher an das Leben und die Krankheit adressiert war, als nur an Frau Bergmann. »Es wäre keine Palästinafahrt geworden, sondern im geistigen Sinne etwas wie eine Amerikafahrt eines Kassierers, der viel Geld veruntreut hat, und dass die Fahrt mit Ihnen gemacht worden wäre, hätte die geistige Kriminalität des Falls noch sehr erhöht. Nein, so hätte ich nicht fahren dürfen, selbst wenn ich es hätte können – wiederhole ich, und: ›alle Plätze sind schon vergeben‹ fügen Sie hinzu.«

richterin k. Statt Kafka luden die Bergmanns den Berliner Religionswissenschaftler Gershom Scholem zu sich ein. Eine durchaus vertretbare Entscheidung, ohne die möglicherweise bahnbrechende Werke zur jüdischen Mystik nicht hätten verfasst werden können. Andererseits: Hätte Else Bergmann ihren Brief nicht geschrieben, wäre Kafka in Jerusalem, der Stadt seiner Sehnsucht, gestorben, statt in einem österreichischen Sanatorium. Erbrechtlicher Gerichtsstand wäre eindeutig Zion. Und der israelischen Justiz wäre ein streckenweise skurriler Rechtsstreit erspart geblieben. Das fängt schon damit an, dass der Fall in erster Instanz ausgerechnet vor einer Juristin namens Kupelman verhandelt wurde, die selbst darüber staunte, dass eine Richterin K. den Fall Kafka betreut. Das Verhalten der Erbinnen tut das Seine dazu. Die Hoffe-Schwestern, beide über 70, verteidigen ihren vermeintlichen Familienschatz wie Furien. (Hat nicht Kafka von Mütterchen Prag geschrieben, dass sie zu fürchtende »Krallen« habe?) Gelegentlich droht Hava Hoffe, sich umzubringen, hört man von ihren Anwälte. Und Richterin K. musste schon mal laut werden, um das Tohuwabohu zu übertönen.

Wie hätte Kafka über diese Szenen gelacht, über solche ihm so gut vertrauten kleinbürgerlichen Dramen auf jüdischem Boden. Einst beschrieb er die elterliche Prager Wohnung als das »Hauptquartier des Lärms«. Im Gerichtssaal mit den Hoffes und Frau Kupelman hätte er sich wie zu Hause gefühlt.

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025