Ausstellung

Spuren des Untergegangenen

Exponat aus der Schau in Hohenems Foto: David Peters

Ausstellung

Spuren des Untergegangenen

»Die ersten Habsburger« im Jüdischen Museum Hohenems

von Alexander Kluy  24.03.2014 18:06 Uhr

Das Imperium der Habsburger, das vom Bodensee bis zum Schwarzen Meer reichte und von Galizien bis Triest und Belgrad, ging nicht 1918 unter. Das Vielvölkerreich endete später, dann aber zweimal. Einmal im Mai 1939, als in Paris Joseph Roth starb. Und drei Jahre danach, als sich Stefan Zweig in Brasilien das Leben nahm. Der eine war der große Nostalgiker Habsburgs, der andere, sein Freund, der vielleicht letzte intellektuelle und humanistische Repräsentant einer gesamteuropäisch ausgerichteten kulturellen Grundhaltung, die der Salzburger inmitten des Zweiten Weltkriegs für alle Zeiten zerschellen sah.

Im Gegensatz zu vielen Ausstellungen in diesem Jahr richtet Die ersten Europäer im Jüdischen Museum Hohenems in Vorarlberg, kuratiert von Felicitas Heimann-Jelinek und Michaela Feurstein-Prasser aus Wien, den Blick in die Zeit vor 1914. Die Kuratorinnen nehmen das Wort Robert Musils vom »Möglichkeitssinn« wörtlich und zielen auf eine Projektion ab – eine Projektion der Idee eines multiethnischen, multireligiösen und multisprachlichen Europas, auf die Vorstellung einer transnationalen Gesellschaft.

Bulgarien »Rustschuk, an der unteren Donau, wo ich zur Welt kam«, lautet eine Passage aus Elias Canettis Erinnerungsbuch Die gerettete Zunge, »war eine wunderbare Stadt für ein Kind, und wenn ich sage, dass sie in Bulgarien liegt, gebe ich eine unzulängliche Vorstellung von ihr, denn es lebten dort Menschen der verschiedensten Herkunft, an einem Tag konnte man sieben oder acht Sprachen hören. Außer den Bulgaren, die oft vom Land kamen, gab es noch viele Türken, die ein eigenes Viertel bewohnten, und an dieses angrenzend lag das Viertel der Spaniolen, das unsere. Es gab Griechen, Albanesen, Armenier, Zigeuner. Vom gegenüberliegenden Ufer der Donau kamen Rumänen, meine Amme, an die ich mich aber nicht erinnere, war eine Rumänin.«

In der multikulturellen Donaumonarchie gab es jüdische Hausierer und Bankiers, Mediziner und Künstler, Dichter und Kaufleute, Arbeiter und politische Visionäre, Salonièren, Journalisten, Rabbiner und Eisenbahnpioniere. Alles Europäer avant la lettre, wie der Titel kokett behauptet? Die Historikerin Diana Pinto macht eine feinsinnige Unterscheidung. Denn waren Juden tatsächlich die ersten Europäer? Oder nicht doch eher die Vorboten der Globalisierung? Schließlich waren ihre familiären, beruflichen, kommerziellen, religiösen Netzwerke weit ausgreifend, wie die Karte zeigt, die als Auftakt der Ausstellung zu sehen ist.

Und weil die Wege der in Hohenems ausgestellten 41 Exponate aus sieben Jahrhunderten weit reichten: von Wien bis ins östliche Bulgarien, von London nach Mähren, von Hamburg über das fränkische Schnaittach nach Modena in Oberitalien, von Amsterdam nach Prag, von Frankfurt am Main nach Jerusalem, von Heidelberg nach Lemberg, von Wien über Teplitz nach New York. Von Genf nach Korfu. Von Vorarlberg nach Siebenbürgen und von dort 1944 nach Auschwitz.

Exponate Die Gestaltung von Martin Kohlbauer zollt dem Tribut. Zum einen führt der Rundgang buchstäblich einmal rundherum durch die Sonderausstellungshalle. Die breit gestreuten Exponate sind – mit Ausreißern – klug chronologisch arrangiert auf einem hüfthohen Tischgestell, das sich bis zur Wand erstreckt und von Kohlbauer mit einem Streifenmuster appliziert wurde. Dabei handelt es sich um das Muster der ursprünglich vom niederländischen Architekten Rem Koolhaas designten Europafahne, in der alle Farben der Länder der Europäischen Union aufscheinen.

Auf dieser horizontalen Ebene sind in Glasvitrinen die raren, teils höchst kostbaren, hie und da opulenten Dinge platziert. Erstaunlich viele Handschriften, das spätmittelalterliche Sefer Jezira und das Wiener Memorbuch der Fürther Klaus-Synagoge, geführt von 1633 bis 1932, sowie Druckwerke sind darunter, aber auch Münzen, Chanukkaleuchter, Tora-Schilde und Rimmonim, ein Parochet aus Bozen von 1799 und ein ganz anderer, biedermeierlicher aus Wien, ein penibel geführtes Hausierbuch einer Jüdin aus Teplitz von 1870, ein silberner Kidduschbecher und ein seidener Meil, ein partiell vergoldeter neogotischer imposanter Keter und eine Zedaka-Büchse, eine Schiwiti-Tafel, Plakate und die mit Gold auf Seide gedruckte Grußadresse der jüdischen Gemeinde von Sarajewo zum 50. Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs im Jahr 1898.

Bemerkenswert bei Letzterer: Das Dokument ist zweisprachig, rechts Serbisch, links Hebräisch. Der Rahmen aus Silberfiligran stammt aus dem westgriechischen Ioannina, das bis 1912 zum Osmanischen Reich gehörte. Die gegebenen Ländergrenzen wurden ignoriert. Den Abschluss bildet ein Highlight: Seiten des handschriftlichen Manuskripts von Stefan Zweigs Die Welt von gestern, das er der Library of Congress zueignete. Ausnahmsweise wurde es auf Reisen geschickt.

Lesen Didaktisch ist die Schau nicht widerspruchsfrei. Denn zu keinem Objekt findet man eine Erklärung. Die Aufmerksamkeit, so die Absicht der Kuratorinnen, solle sich auf das richten, was zu sehen ist. Was dann doch nicht stimmt: Es gibt ein kostenloses Erklärungsheft, in dem auf jeweils einer Doppelseite Angaben zu jedem Exponat stehen, eine grafische Darstellung seiner Wege und eine ausführliche Beschreibung der vielen Geschichten, die es erzählt. Was dann doch wieder heißt: Man liest viel mehr, als dass man schaut. Auch weil einige Exponate eher auratisch sind, etwa das Modell der Nordbahn-Lokomotive Austria von 1937.

Auch nicht gerade viele dürften Leben und Bedeutung von Cäcilie Freiin von Eskeles (1760–1836) auswendig parat haben, von der ein prachtvolles Porträt aus dem Bestand des Germanischen Nationalmuseums zu sehen ist. Sie war die Schwester Fanny von Arnsteins, heiratete 1799 den Wiener Bankier Bernhard von Eskeles, einen der wichtigsten Finanzberater Kaiser Josephs II. und Mitbegründer der Österreichischen Nationalbank, und betrieb einen bedeutenden Salon. Nie hätte sie wohl geahnt, dass viel später Zweig resignativ schreiben sollte, die Monarchie der Habsburger sei »weggewaschen« worden »ohne Spur«.

Ein geeintes Europa also eine Illusion, ein friedliches, tolerantes, nicht-rassistisches, nicht-extremistisches – ein naiver Trug? Da ist diese Schau dann mehr als nur subkutan ein nachdenklicher Kommentar zur Gegenwart.

»Die ersten Habsburger. Habsburger und andere Juden – eine Welt vor 1914«. Jüdisches Museum Hohenems, Vorarlberg, Österreich. Bis 5. Oktober 2014

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann wird heute mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis geehrt. Bislang schwieg sie zur scharfen Kritik an ihrer Arbeit. Doch jetzt antwortete die ARD-Journalistin ihren Kritikern

 04.12.2025

Antisemitismus

Schlechtes Zeugnis für deutsche Schulen

Rapper Ben Salomo schreibt über seine Erfahrungen mit judenfeindlichen Einstellungen im Bildungsbereich

von Eva M. Grünewald  04.12.2025

Literatur

Königin Esther beim Mossad

John Irvings neuer Roman dreht sich um eine Jüdin mit komplexer Geschichte

von Alexander Kluy  04.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter, Imanuel Marcus  04.12.2025

Show-Legende

Mr. Bojangles: Sammy Davis Jr. wäre 100 Jahre alt geworden

Er sang, tanzte, gab den Spaßmacher. Sammy Davis Jr. strebte nach Erfolg und bot dem Rassismus in den USA die Stirn. Der Mann aus Harlem gilt als eines der größten Showtalente

von Alexander Lang  04.12.2025

Preisvergabe

Charlotte Knobloch kritisiert Berichterstattung von Sophie von der Tann

Dass problematische Berichterstattung auch noch mit einem Preis ausgezeichnet werde, verschlage ihr die Sprache, sagt die Präsidentin der IKG München

 04.12.2025

Philosophie

Drang zur Tiefe

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod entzieht sich das Denken Hannah Arendts einer klaren Einordnung

von Marcel Matthies  04.12.2025

Kulturbetrieb

»Wie lange will das politische Deutschland noch zusehen?«

Der Bundestagskulturausschuss hörte Experten zum Thema Antisemitismus an. Uneins war man sich vor allem bei der Frage, wie weit die Kunstfreiheit geht

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025