Bibel

Söhne des Lichts

»Zu verkaufen: biblische Handschriften, die bis mindestens 200 v. d. Z. zurückdatieren. Hervorragend geeignet als Schenkung einer Privatperson oder Gruppe an ein wissenschaftliches oder religiöses Institut.« So lautete eine Anzeige im Wall Street Journal im Juni 1954. Damals sollten die Handschriften – es handelte sich um die Schriftrollen vom Toten Meer – nur einige Tausend Dollar kosten, mittlerweile liegt der Wert in Millionenhöhe. Shalom Paul, Vorsitzender der Dead Sea Scrolls Foundation und Dozent an der Hebräischen Universität Jerusalem, sprach am Sonntag im Hotel Kudamm 101 in Berlin über »Die Bedeutung der Qumran-Rollen für das Verständnis der Bibel, des frühen Judentums und die Geburt des Christentums«.

»Ich habe nur wenig Zeit für meinen Vortrag, also werde ich schnell reden«, stellte Shalom Paul als Erstes klar. Es wurden aber dann doch fast drei Stunden, in denen er den etwa 60 Zuhörern Rede und Antwort stand. Die Qumran-Rollen vom Toten Meer wurden 1947 von einem Beduinenjungen entdeckt. Ein Schaf seiner Herde lief in eine Höhle – und dort fand der Junge sieben Tonkrüge, in denen er mit seinen Händen Pergamentpapier ertastete. Schließlich suchten Archäologen und Beduinen in der Gegend der Judäischen Wüste weiter. In elf Höhlen wurden Papiere gefunden. Teilweise handelte es sich um briefmarkengroße Fragmente, die in jahrelanger Puzzlearbeit zusammengesetzt wurden.

verschwörungstheorien Heute umfassen die Rollen 41 »riesige Bände«, so Paul. Die Fragmentierung eines Großteils der Schriften, die zudem im Besitz vieler verschiedener Institutionen waren, verzögerte den Editionsprozess. Bis 1990 waren immer noch etwa 200 Rollen und dazugehörige Fragmente unveröffentlicht, was zu Verschwörungstheorien führte wie etwa der, dass der Vatikan die Veröffentlichung der Qumranschriften aufzuhalten versuche, da darin Aussagen gefunden worden seien, die das kirchliche Jesusbild erschüttern. Seit 2009 ist die Reihe vollständig und soll demnächst auch im Internet stehen.

In vier verschiedenen Sprachen sind die Schriften abgefasst: Hebräisch, Paläohebräisch, Aramäisch und zu drei Prozent in Griechisch. Aufgrund der Radiokarbondatierung lässt sich das Alter bestimmen. Von mehreren Hundert Schreibern sollen sie zwischen 250 v. d. Z. und 40 v .d. Z. aufgezeichnet worden sein.

Das Überraschendste darunter, so Paul, seien etwa 200 Texte des späteren Tanach. Dies sind die ältesten bekannten Handschriften der Bibel. Jedes Buch der Bibel, bis auf Esther, kommt in den Schriften vor. Paul hatte festgestellt, dass es zahlreiche Abweichungen gibt. Seiner Meinung nach wurde derselbe Inhalt in verschiedenen Varianten ausgestaltet, und erst später legten sich die Rabbinen auf die Texte fest.

gähnen Als es Konflikte um das Amt des Hohepriesters in Jerusalem gab, soll sich eine Gruppe von unzufriedenen Priestern auf den Weg gemacht haben, um »den ersten Kibbuz der Welt« zu gründen. Shalom Paul nennt diese Gruppe »Qumraner«. »Wir wissen heute viel über sie, weil wir ihre Literatur gefunden haben«, so Paul. Die Qumraner waren extrem religiös, beteten zu Engeln und bestanden auf absoluter Reinheit. Wer bei ihnen aufgenommen werden wollte, musste strenge Regeln einhalten. Sogar Fische wurden korrekt geschächtet, jeder musste ein Drittel des Tages die Tora lernen und durfte nichts vom Boden aufheben. Gähnen brachte einen Ausschluss von 30 Tagen mit sich, ebenso auf den Boden spucken.

Erst musste der Novize ein Jahr auf Probe bestehen, dann durfte er mit den anderen zusammen essen. Im zweiten Jahr konnte er mit ihnen trinken und im dritten Jahr durfte er sein Vermögen »in die Gruppe mit einbringen«. Wie groß die Gruppe war, könne man schätzen, da bei Ausgrabungen das Speisezimmer samt Besteck gefunden wurde. Wahrscheinlich waren es etwa 150 Menschen. Sie glaubten, dass es »kurz vor zwölf war und das Weltende bevorstand«. Die Qumraner unterteilten die Menschen in »Söhne des Lichts« und »Söhne der Finsternis«. Und sie hatten einen eigenen Kalender, der aus 364 Tagen bestand.

einfluss »Diese Gruppierung hat sehr großen Einfluss auf das Christentum gehabt. Sie hat den Samen für das Christentum gesät«, glaubt Paul. Beispielsweise greife das Johannesevangelium das Motiv der Söhne des Lichts und der Finsternis auf. In der Markus-Gruppe speiste man ebenfalls zusammen und teilte den Besitz. Die Christen haben ferner die Idee des bevorstehenden Weltuntergangs übernommen, auch wenn das bei den Qumranern lediglich bedeutete, den Tempel neu zu errichten.

Johannes der Täufer soll in Qumran gewesen sein und Ideen mitgenommen haben. Für eine Reihe urchristlicher Glaubensmotive haben die Schriften neue Einsichten eröffnet. So fand sich der Ausdruck »Arme im Geiste«, mit dem Jesus die Volksmenge zu Beginn der Bergpredigt anredet, auch in den Schriftrollen des Toten Meeres. Der Vatikan sei sich bewusst, dass es jüdische Wurzeln im Christentum gebe, so Shalom Paul. Gefährliche Enthüllungen à la Dan Browns Sakrileg gibt es in den Schriftrollen aber nicht. »Das war nur ein Crashkurs – bleiben Sie am Thema dran«, empfahl Paul zum Abschluss.

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Bremen

Seyla Benhabib erhält den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken

Die Jury würdigte Benhabib als »herausragende politische und philosophische Intellektuelle«

 15.09.2025

Eurovision

Israel hält nach Boykottaufrufen an ESC-Teilnahme fest

Israel will trotz Boykott-Drohungen mehrerer Länder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. Wie andere Länder und Veranstalter reagieren

 15.09.2025

Antisemitismusskandal

Bundespräsident trifft ausgeladenen Dirigenten Shani

Nach dem Eklat um eine Ausladung der Münchner Philharmoniker in Belgien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den künftigen israelischen Chefdirigenten Lahav Shani ins Schloss Bellevue eingeladen

von Anne Mertens  15.09.2025

Literatur

Ein Funke Hoffnung

Rafael Seligmann hält Deutschland derzeit nicht für den richtigen Ort einer Renaissance jüdischen Lebens. Trotzdem gibt er die Vision nicht auf. Ein Auszug aus dem neuen Buch unseres Autors

von Rafael Seligmann  15.09.2025

Los Angeles

»The Studio« räumt bei den Emmys 13-fach ab

Überraschende Sieger und politische Statements: Ausgerechnet eine jüdische Darstellerin ruft eine israelfeindliche Parole

von Christian Fahrenbach  15.09.2025

Freiburg im Breisgau

»Keine Schonzeit für Juden«: Neues Buch von Rafael Seligmann

Antisemitismus, der 7. Oktober 2023, ein Umzug von Tel Aviv nach München in den 1950er Jahren und ein bewegtes Leben: Der Historiker streift und vertieft in seinem aktuellen Werk viele Themen

von Leticia Witte  15.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  14.09.2025 Aktualisiert