Nachruf

Sex, Drogen und Elektroschocks

Lou Reed (1942–2013) Foto: imago

Schon vor zwei Jahren wurde gemeldet, dass Lou Reed gestorben sei. Der Musiker, verbreiteten Medien 2011, sei an einer Überdosis Heroin gestorben. Das war eine Ente.

Jetzt ist Lou Reed wirklich tot. Am Sonntag ist er in Long Island im Alter von 71 Jahren den Folgen einer Lebertransplantation erlegen, der er sich im Mai hatte unterziehen müssen. In gewissem Sinn ist der Musiker so tatsächlich, wenn auch mittelbar, Opfer seines selbstzerstörerischen Lebensstils geworden. Dass er es überhaupt bis 71 brachte, ist angesichts von Reeds Alkohol- und Drogenkonsum ein kleines Wunder.

»Therapie« Diese Autodestruktivität hatte ihre Wurzeln in der Kindheit des am 2. März 1942 in Long Island geborenen Sohns einer Familie, die ursprünglich Rabinowitz hieß. Die konservativen Eltern kamen mit ihrem aufsässigen Sohn nicht zurecht und ließen ihn mit Elektroschocks behandeln, nicht zuletzt auch, um ihn von einer vermuteten Homosexualität zu »heilen«. »Der Effekt ist, dass man sein Gedächtnis verliert und intellektuell dahinvegetiert«, erinnerte sich Reed Jahrzehnte später in einem Interview an die Tortur, die er auch in Songs wie »Kill Your Sons« versuchte zu verarbeiten.

Musik war für Lewis Allan Reed, wie er laut Geburtsurkunde heißt, schon als Teenager der Weg, dem tristen Familienmilieu zu entfliehen. Später ging er nach New York und gründete dort 1965 mit John Cale die legendäre Band Velvet Underground, deren Gitarrist er war. Andy Warhol förderte die Gruppe, die zwar für echte kommerzielle Erfolge zu avantgardistisch war, aber in der Szene Maßstäbe setzte. 1972 verließ Reed die Band und begann eine Solokarriere mit Erfolgen wie »New York« und »Coney Island Baby«, aber auch zahlreichen Flops, die ihn immer wieder in Verzweiflung stürzten.

ikone Im Alter wurde Lou Reed dann, was er nie hatte werden wollten: ein Stück Establishment der Musikkultur. 1996 wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen; 2009 lud ihn sein Fan Václav Havel als Ehrengast zur Feier des 20. Jahrestags der »samtenen Revolution« nach Prag ein. Musik machte Lou Reed, so lange es ging. Sein letztes Album erschien 2001, eine Vertonung von Frank Wedekinds »Lulu«, eingespielt mit der Hardrock-Gruppe Metallica.

Eine ausführliche Würdigung Lou Reeds lesen Sie in unserer nächsten Printausgabe am 31. Oktober.

Menschenrechte

Die andere Geschichte Russlands

»Wir möchten, dass Menschen Zugang zu unseren Dokumenten bekommen«, sagt Irina Scherbakowa über das Archiv der von Moskau verbotenen Organisation Memorial

 25.12.2025

Rezension

Großer Stilist und streitbarer Linker

Hermann L. Gremliza gehört zu den Publizisten, die Irrtümer einräumen konnten. Seine gesammelten Schriften sind höchst lesenswert

von Martin Krauß  25.12.2025

Glastonbury-Skandal

Keine Anklage gegen Bob-Vylan-Musiker

Es lägen »unzureichende« Beweise für eine »realistische Aussicht auf eine Verurteilung« vor, so die Polizei

 24.12.2025

Israel

Pe’er Tasi führt die Song-Jahrescharts an

Zum Jahresende wurde die Liste der meistgespielten Songs 2025 veröffentlicht. Eyal Golan ist wieder der meistgespielte Interpret

 23.12.2025

Israelischer Punk

»Edith Piaf hat allen den Stinkefinger gezeigt«

Yifat Balassiano und Talia Ishai von der israelischen Band »HaZeevot« über Musik und Feminismus

von Katrin Richter  23.12.2025

Los Angeles

Barry Manilow teilt Lungenkrebs-Diagnose

Nach wochenlanger Bronchitis finden Ärzte einen »krebsartigen Fleck« in seiner Lunge, erzählt der jüdische Sänger, Pianist, Komponist und Produzent

 23.12.2025

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025