Radio

Sendeschluss

»Schellack-Schätzchen«: Die Comedian Harmonists Foto: cc

Die winterkalten Tage des Jahres sind oft die, in denen man sich – zumal, wenn man in die Jahre kommt – von alten Freunden und liebgewordenen Gewohnheiten verabschieden muss. Diesmal heißt es Abschied nehmen von einer Radiosendung, die immer montags, kurz nach neun Uhr abends, über WDR 4 einen kleinen, aber beharrlichen Hörerkreis mit den rauschhaften Klängen alter Platten beglückte, für die sich auch zunehmend wieder junge Leute erwärmen können. Plattenspieler, heißt es, sind inzwischen wieder in – CD-Playern, mp3-Dateien und iTunes zum Trotz.

originalton Die Sendung heißt »Schellack-Schätzchen«. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert vermittelt sie im Originalton den guten alten Sound historischer Tanz- und Unterhaltungsmusik: Den Jazz der Roaring Twenties, die frühen Swing-Bands, die Richard Taubers und Max Hansens, Weintraubs Syncopators, Comedian Harmonists und all die anderen Pop-Größen aus den Tagen der turbulenten Weimarer Republik.

Moderiert wird die Sendung von Plattenfans, die ebenso unterhaltsam wie informativ zur unverwechselbaren Klangfarbe der frühen Jahre plaudern. Ein Hörgenuss der besonderen Art, jenseits der quotenorientierten Dudelfunk-Dampframmen mit ihren superspaßgestählten Quatsch-Sprech-Präsentatoren.

Damit soll es nun vorbei sein. Ab Februar wird dem »Schätzchen« das Mikro zugedreht. Rena Pieper, die Programmchefin bei WDR 4, und ihre Intendantin Monika Piel wollen es so.

Was tun? Ich nahm mir ein Herz, dazu ein Blatt Papier und schrieb Frau Piel einen artigen Brief. Gab zu bedenken und bat, den gefassten Entschluss noch einmal zu überdenken. Zumal man in »Schellack-Schätzchen«, der letzten Sendung dieser Art, auch immer wieder Aufnahmen zu hören bekam, mit denen an die im Dritten Reich verfemten, verfolgten und größtenteils ermordeten Künstler erinnert wurde: an Musiker wie Friedrich Hollaender und Mischa Spoliansky, an Rudolf Nelson und Werner Richard Heymann, und an all die jüdischen Kabarettprofis, die wie Kurt Gerron, Max Ehrlich, Fritz Grünbaum, Paul Morgan, Franz Engel, Dora Gerson, Kurt Lilien, Fritz Löhner-Beda, Moriz Seeler, Alice Dorell, Willy Rosen, Leo Strauß und Otto Wallburg in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. »Schellack-Schätzchen« aus dem Programm zu nehmen, schrieb ich, würde bedeuten, gerade auch über dieses wichtige Kapitel unserer Kulturgeschichte das Tuch des Vergessens auszubreiten.

geschichtslos Zum Schluss meines Bittbriefs wurde ich persönlich. »Ich darf Sie daran erinnern«, schrieb ich, »dass ich zu einem Zeitpunkt, da Sie gerade Ihr Amt als Intendantin antraten, in Ihrem Hause zu Gast sein durfte. Anlass war eine vom WDR ausgerichtete Gala, auf der mir der Deutsche Hörbuchpreis 2007 für mein Hörbuch Mit den Wölfen geheult – Von leichter Muse in schwerer Zeit / Unterhaltung und Kabarett im Dritten Reich zuerkannt und überreicht wurde. Ich darf Ihnen versichern, dass ich viele der Informationen, die mich zu meinen Recherchen zu diesem Thema inspiriert und veranlasst haben, auch und gerade Ihrer Sendung verdanke. Sie ersatzlos zu streichen, bedeutet, der Geschichtslosigkeit unserer Tage Vorschub zu leisten.«

Frau Piel hat nicht geantwortet. Stattdessen ließ sie Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz in ihrem Auftrag schreiben. Der verwahrte sich mit gespielter Empörung gegen den »Vorwurf, der WDR verschweige gerade das dunkelste Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte«. Was ihn dazu bewogen hat, mir diesen Vorwurf zu unterstellen, schrieb er nicht. Sondern dies: »Im Hörfunk widmen wir uns – auch außerhalb der Sendung Schellack-Schätzchen – in Zusammenarbeit mit unserem WDR-Rundfunkorchester häufig der Werke von Leo Fall, Paul Abraham oder Michael Jary.«

ns-schlager Der Satz hat es in sich. Denn er enthält gleich mehrere Pointen, über die in dem gegebenen Zusammenhang schmunzeln will, wer mag. Erstens starb Leo Fall bereits 1925 in Wien und kann deswegen wohl schwerlich als Opfer der Hitler-Barbarei gelten. Paul Abraham überlebte die Schoa im Exil und kehrte, wenn auch bettelarm und physisch wie psychisch schwer lädiert, in den 50er-Jahren aus New York nach Hamburg zurück, wo er wenig später starb.

Michael Jary dagegen gehört in eine andere Kategorie, nämlich in die der Nutznießer des NS-Systems. Während seine jüdischen Kollegen aus dem Land getrieben wurden, rückte Jary Anfang der Vierziger mit munteren Trotzliedern wie Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern zum Schlagerkönig der Unterhaltungsbranche auf. 27 Millionen filmbegeisterte Volksgenossen holten sich 1943 – in Stalingrad bereitete sich mit der Niederlage der 6. Armee gerade der Anfang vom Ende vor – bei Zarah Leander optimistische Zuversicht aus Schlagern von Jary: Davon geht die Welt nicht unter und Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn.

Wie man weiß, blieb das Wunder damals aus. Es wird wohl auch dieser Tage ausbleiben. Die WDR-Oberen jedenfalls stellen sich taub, auch jetzt, da sich erster Hörerprotest gegen die Einstellung der Sendung regt. Mit geschichtlichem Ohropax in den Lauschern hört sich’s eben nicht besser.

Tschüss, Schellack-Schätzchen. Wir werden dich vermissen.

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025