Literatur

Schreiben am Abgrund

Literatur

Schreiben am Abgrund

Mopsa Sternheims autobiografisches Werk erscheint posthum

von Bettina Piper  12.10.2025 09:17 Uhr

Eine bekannte Unbekannte, die in Briefen und Erinnerungen ihrer Zeitgenossen präsent, doch bis zu ihrem Tod eine Autorin ohne Werk geblieben ist: Dorothea »Mopsa« Sternheim (1905–1954), Bühnenbildnerin und Schriftstellerin, erlitt das typische »Dichterkinder«-Schicksal. Als Tochter von Carl Sternheim, einem der meistgespielten Dramatiker Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg, und Thea Sternheim, Kunstsammlerin und einflussreiche Tagebuchschreiberin, blieb Mopsa ein Leben lang im Schatten ihrer Eltern.

Bereits in jungen Jahren verkehrte sie in Berlins Intellektuellen- und Künstlerkreisen. Gleichzeitig fand sie sich immer wieder am Abgrund, beging einen Suizidversuch und kämpfte gegen eine zerstörerische Drogensucht an, ausgelöst durch die Medikation nach einem Verkehrsunfall.

Im Exil im antifaschistischen Widerstand aktiv, wurde Sternheim in Paris durch die Gestapo aufgespürt. Es folgten Folter und 18 Monate Inhaftierung im KZ Ravensbrück. Als Überlebende der Hölle kehrte sie im Juni 1945 nach Frankreich zurück und teilte sich mit ihrer Mutter eine kleine Wohnung. Aus einem Urlaub 1946 in Italien schrieb sie an Thea Sternheim: »Ich denke immerzu an Ravensbrück, seit ich hier bin, und frage mich ängstlich, welchen Grad an Kontrasten das Leben mir noch zugedacht hat. Weil das fast unfassbar ist für ein selbes Gehirn.«

Lange Zeit galt der Roman als verschollen, bis die Notizen Jahrzehnte nach Sternheims Tod in einem Koffer entdeckt wurden.

Umso unermüdlicher und intensiver arbeitete Sternheim an einem autobiografischen Roman. Lange Zeit galt er als verschollen, bis die Notizen Jahrzehnte nach ihrem Tod in einem Koffer in der Landesbibliothek Oldenburg entdeckt wurden. Es ist dem Wallstein Verlag zu verdanken, dass Im Zeichen der Spinne erstmals erscheint – ediert, kommentiert und mit einem Nachwort versehen.

Am 11. September 1954 erlag Sternheim einer Krebserkrankung. Zuvor hatte sie verfügt, dass all ihre Briefe vernichtet werden sollten. Lediglich den Romanentwurf und die Tagebücher vertraute sie dem befreundeten Kunsthistoriker Gert Schiff an, der sich um eine Publikation bemühte. »Interessant, aber zu fragmentarisch«, urteilte 1955 der Rowohlt Verlag und lehnte ab – die noch junge Bundesrepublik war mit Verdrängen der NS-Geschichte beschäftigt.

Sternheim selbst hatte am 6. Mai 1942 in ihrem Tagebuch notiert: »Mein Buch ist zu konstruiert, zu gewusst. Und kitschig, pathetisch immer, oft solennel. Das ist mir egal.« Dass das literarische Schaffen jetzt ans Licht kommt, schenkt einer faszinierenden Frau posthum eine Stimme. Von nun an ist Mopsa Sternheim eine Autorin mit Werk.

Mopsa Sternheim: »Im Zeichen der Spinne«. Mit einem Nachwort von Rudolf Fietz und Gisela Niemöller. Wallstein, Göttingen 2025, 364 S., 24 €

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025