Herr Lieberberg, was ist in der Musikbranche los, dass der Hass auf Israel und Juden gerade »im Trend« zu liegen scheint? Und was können Veranstalter tun, um solch ein Aufstacheln durch Bands wie Kneecap und Bob Vylan zu verhindern?
Ich weiß nicht, ob man Kneecap und Bob Vylan überhaupt als Bands bezeichnen kann? Sie haben gefragt, ob der im Rahmen von Auftritten propagierte Hass im Trend liegt: Das glaube ich nicht. Diese beiden Gruppen haben überhaupt keine Relevanz, weder musikalisch noch intellektuell. Ihren einzigen »Claim to Fame« beziehen sie aus ihren Tiraden gegenüber Israel, der IDF oder Juden per se. Wissen Sie, ich habe mich viele Jahrzehnte mit Roger Waters herumgeplagt. Das lag daran, dass ich von Anfang an Pink Floyd in Deutschland veranstaltet habe - unter anderem die legendären »The Wall«-Konzerte in der Westfalenhalle. Seine persönliche, klar antisemitische, antiisraelische Haltung kam erst später zum Ausbruch, als er solo aufgetreten ist, aber noch die Klassiker aus dem Katalog von Pink Floyd spielte. Der Unterschied ist, dass wir es hier mit einem Künstler zu tun haben, dessen Songs keine antisemitischen Sentenzen enthielten.
Sie halten Kneecap und Bob Vylan für Eintagsfliegen?
Sie sind unbedeutende Erscheinungen im Musikbusiness. Sie wollen Aufmerksamkeit um jeden Preis. Und wie können sie die am besten erreichen? Indem sie auf den Zug der antiisraelischen, antijüdischen Hetze aufspringen. Dennoch naht ihr baldiges Verfallsdatum.
Also ist es ein kurzlebiges Phänomen?
Erinnern Sie sich noch an den »Echo«? Der Musikpreis geriet in die Kritik wegen der Rapper Kollegah und Farid Bang und wurde schließlich wegen deren antisemitischer und gewaltverherrlichender Texte abgesetzt, die im Rap-Genre leider immer wieder festzustellen sind. Heute spricht niemand mehr über sie.
Aber hat das nicht eine neue Qualität, was wir gerade erleben?
Als ich meine ersten Konzerte veranstaltet habe, Ende der 1960er Jahre, war das die Zeit der Studentenrevolten weltweit. Diese richteten sich vor allem gegen die Amerikaner und deren militärische Intervention in Vietnam. Man skandierte damals Namen wie Ho Chi Minh und Mao Tse Tung, aber nicht »Tod den Amerikanern«! Es gab bei Konzerten lautstarke Proteste des Publikums, gelegentlich musste sogar eine Veranstaltung abgebrochen werden. Ein Großteil der Musikwelt engagierte sich gegen den Vietnamkrieg und solidarisierte sich mit der studentischen Bewegung. Die Rock- und Popmusik trug viel zu einem neuen Selbstverständnis der Jugend bei. Die Musik war der Soundtrack zu Forderungen nach größerer persönlicher Freiheit, gerade auch im Hinblick auf Sexualität, und Beteiligung an politischen Prozessen. Die jungen Menschen wollten sich Gehör verschaffen und die Musik war der Wegbereiter. Geniale Künstler wie Bob Dylan oder The Grateful Dead begeisterten die Fans mit genialen Songs und artikulierten Auffassungen, die politische Wirkung erzielten. Demgegenüber haben Kneecap und Bob Vylan nichts zu bieten, außer Hass und Hetze, mit denen man Aufmerksamkeit und natürlich kommerziellen Erfolg um jeden Preis erreichen will.
Glauben Sie nicht, dass die Empörung und die Forderungen nach Auftrittsverboten solche Musiker noch berühmter machen?
Das glaube ich nicht. Sie werden schnell in Vergessenheit geraten. Unvergesslich und unverzeihlich ist demgegenüber der Antisemitismus, der bei Demonstrationen, Diskussionen oder auch Konzerten zum Ausdruck kommt und die Schrecken des 7. Oktober leugnet. Dafür kann es keine Entschuldigung geben!
Wundert Sie diese Renaissance des Hasses?
Ich bin erstaunt, in welch massiver Weise und wie offen der Antisemitismus hervortritt. Das sage ich nicht als Veranstalter, sondern als Jude in Deutschland. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie undifferenziert in Teilen der Medien, insbesondere den Öffentlich-Rechtlichen, berichtet wird, wie Fakten ausgelassen oder zurechtgebogen werden. Aber das ist ja leider nicht nur in Deutschland der Fall.
Glauben Sie, dass sich die Musikbranche bald beruhigen wird?
Die Musikbranche ist glücklicherweise nicht in ihrer Gesamtheit erfasst. Stereotypen und Schmähungen allein verbrauchen sich schnell. Aber es ist erstaunlich, wie viele intelligente Menschen von diesem Virus erfasst sind.
Was können wir tun?
Jeder von uns muss dem Antisemitismus entgegentreten, wo immer das möglich ist. Ich habe Roger Waters damals eine jahrzehntelange Zusammenarbeit aufgekündigt und seine letzte Tour nicht mehr veranstaltet. Darüber bin ich sehr froh.
Marek Lieberberg, 79, ist einer der größten Konzertveranstalter Europas. Er hat Stars wie Depeche Mode, Metallica, Bruce Springsteen, Madonna und Adele nach Deutschland geholt. Das Interview führte Sophie Albers Ben Chamo.