Wuligers Woche

Schluss der Debatte

Früher hätte ich mich auf Diskussionen zum Nahostkonflikt eingelassen. Diese Gespräche sollen künftig andere führen. Ich habe Besseres zu tun. Foto: Thinkstock

Voriges Wochenende auf einer Fete. Ein Gast, der mitbekommen hat, für welche Zeitung ich schreibe, spricht mich an: »Warum erschießt Israel in Gaza friedliche Demonstranten? Und wieso darf ich das als Deutscher nicht kritisieren, ohne gleich als Antisemit beschimpft zu werden?« Ich: »Entschuldigung, ich muss mal dringend zur Toilette.«

Früher hätte ich mich auf die Diskussion eingelassen. Ich hätte versucht zu erklären, dass an der Grenze zwischen Israel und Gaza keine friedliche Kundgebung stattfand, sondern der Versuch einer gewaltsamen Erstürmung. Dass die allermeisten Todesopfer Kämpfer der Hamas waren. Dass Frauen und Kinder, wie die Hamas inzwischen selbst zugibt, bewusst als Kanonenfutter eingesetzt wurden. Und dass selbstverständlich jeder Israel kritisieren darf, ob Deutscher, Bantu oder Eskimo, er sich dann aber auch Gegenargumenten stellen muss. Überhaupt, dass im Nahen Osten die Dinge etwas komplizierter sind, als sie in den hierzulande gängigen Schlagworten dargestellt werden.

Genossen Inzwischen habe ich dazu keine Lust mehr. Der Dialog mit Andersdenken nervt mich nur noch. Zumal er völlig sinnlos ist. Es kommt nichts dabei heraus. Jahrzehntelang habe ich mir den Mund fusselig geredet, um Leute aufzuklären, gleich welchen Unsinn sie verzapften. An der Uni versuchte ich, meinen linken Genossen zu verklickern, dass der Holocaust keine Klassenfrage war und dass in Auschwitz auch reiche Juden vergast wurden.

Später, als Redakteur bei einem größeren öffentlich-rechtlichen Sender, wollte ich die Kollegen überzeugen, bei aller kritischen Betrachtung des Nahostkonflikts auch mal die zwei, drei anderen Hotspots auf der Welt zu thematisieren, an denen es mindestens genauso schlimm zuging, wenn nicht noch schlimmer.

Und da war dann noch der sächsische CDU-Abgeordnete, der mich kurz nach der Wende anging, warum die Juden mit ihren Restitutionsforderungen den Aufbau Ost behinderten. Ich argumentierte mit Eigentumsrecht und Moral. Er reagierte mit den Worten: »Wir haben 40 Jahre lang in der DDR gelitten. Jetzt ist’s genug.«

Vorurteile Mir ist’s inzwischen auch genug. Tatsache ist: Die allermeisten derer, die mich in Gespräche über Juden im Allgemeinen, Israel und/oder die Schoa im Besonderen verwickelten – und die Initiative dazu ging in der Regel von ihnen aus, nicht von mir –, taten dies nicht, weil sie ehrliche Verständnisfragen hatten oder eine sachlich begründete Meinung. (Von der Materie hatten sie fast immer null Ahnung.) Sie wollten nur ihre Vorurteile loswerden.

Bitte sehr, sollen sie. Aber nicht mit mir. Ich stehe als Kotztüte für Ressentiments nicht mehr zur Verfügung. Von dem narzisstischen Größenwahn, ich könnte mit rationalen Argumenten Leute überzeugen, die überhaupt nicht überzeugt werden wollen und können, bin ich zum Glück kuriert. Den Dialog mit Andersdenkenden sollen in Zukunft andere führen. Ich habe Besseres zu tun.

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025