Literatur

Schelmenleben mit Krokodil

»Krokodilopolis« ist mit vielen Kohlezeichnungen ausgestattet. Foto: PR

Literatur

Schelmenleben mit Krokodil

Pavel Feinstein legt ein famoses Romandebüt vor

von Alexander Kluy  12.03.2020 12:03 Uhr

Kein akuter Modetrend. Keine Verlagsdirektive, mutmaßliche Publikumserwartungen wie Familiengeschichten, Borderline-Berichte oder offenherzige erotische Grenzüberschreitungen zu erfüllen. Stattdessen: ein diffizil auszusprechender Titel.

Eine Handlung, die im zweiten nachchristlichen Jahrhundert spielt. Und die Protagonisten sind: Ziegenhirten, tote Krokodile, ägyptische Priester, jüdische Piraten. Anders ausgedrückt: ein famoses Leseglück.

Denn was Pavel Feinstein, von Haus aus Maler und Zeichner, mit Krokodilopolis, seinem Debütroman – im stolzen Alter von 60 Jahren! – präsentiert, bedient keine marktgängigen Kategorien. Zum Glück für ihn wie für uns. Denn dieser Roman mit 17 barock betitelten Kapitelüberschriften überragt vieles, was sonst erscheint.

Grabungen Es ist ein Schelmenroman, wie Grimmelshausens Der abenteuerliche Simplicissimus oder Jaroslav Haseks Der brave Soldat Schwejk, Saul Bellows Die Abenteuer des Augie March, Günter Grass’ Die Blechtrommel oder die zwei ewigen Geheimtipps, Albert Vigoleis Thelens Mallorca-Epopöe Die Insel des zweiten Gesichts und John Kennedy Tooles Die Verschwörung der Idioten, in jüngerer Zeit Umberto Ecos Baudolino.

Wir lesen die Memoiren eines jüdischen vagabundierenden Künstlers Ende des 2. Jahrhunderts.

Und so postmodern verspielt wie Eco setzt auch Feinstein ein. 1936: Bei archäologischen Grabungen in Galiläa wird eine Grabkammer entdeckt, darin menschliche Knochen, ein mumifiziertes Nilkrokodil und vier Tontöpfe mit Pergamentrollen. Nach einer Odyssee wird Jahrzehnte später das beschriftete Pergament entziffert.

Es sind die Memoiren eines jüdischen vagabundierenden Künstlers Ende des 2. Jahrhunderts. Was wir dann auf 200 Seiten lesen, ist eine lebendige Wiedergabe ebendieser abenteuerlichen Lebensroute vom winzigen Dorf namens Anus Mundi nach Caesarea, Alexandria und Karthago.

Zeichnungen Der Ich-Erzähler wird zum erfolgreichen Künstler, tut sich mit dem Bildhauer Shimon zusammen, dann mit einer bunt gemischten Entourage, ihn verschlägt es in einen ägyptischen Krokodilstempelort, wo er heilige Exemplare porträtieren muss, später begegnet er den Satirikern Apuleius und Lukian, findet Liebe und Freunde und am Ende Ruhe.

Feinstein, 1960 in Moskau als Sohn eines Architekturprofessors geboren, wuchs in Duschanbe in Tadschikistan auf, emigrierte mit 20 Jahren nach West-Berlin, wurde an der dortigen Kunstakademie zum Maler ausgebildet, hat bis heute viele Ausstellungen. 2008 brachte er, dessen Atelier in Berlin-Wilmersdorf einst das von George Grosz war, ein Buch heraus mit Bleistiftskizzen aus dem Berliner Zoo.

Auch Krokodilopolis ist mit vielen Kohlezeichnungen ausgestattet. Feinsteins Ölgemälde sind gesättigt mit kunsthistorischen Anspielungen und visueller, an Alten Meistern wie an Paul Cézanne geschulter Finesse und dichter Raffinesse. Gleiches gilt für seine Prosa. Ein unbändiges, listiges und feinsinniges Lesevergnügen.

Pavel Feinstein: »Krokodilopolis«. Hirmer, München 2020, 224 S., 19,90 €

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Glosse

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken? Ein Gedankenexperiment

von Imanuel Marcus  07.12.2025

Los Angeles

Schaffer »visionärer Architektur«: Trauer um Frank Gehry

Der jüdische Architekt war einer der berühmtesten weltweit und schuf ikonische Gebäude unter anderem in Los Angeles, Düsseldorf und Weil am Rhein. Nach dem Tod von Frank Gehry nehmen Bewunderer Abschied

 07.12.2025

Aufgegabelt

Plätzchen mit Halva

Rezepte und Leckeres

 05.12.2025

Kulturkolumne

Bestseller sind Zeitverschwendung

Meine Lektüre-Empfehlung: Lesen Sie lieber Thomas Mann als Florian Illies!

von Ayala Goldmann  05.12.2025

TV-Tipp

»Eigentlich besitzen sie eine Katzenfarm« - Arte-Doku blickt zurück auf das Filmschaffen von Joel und Ethan Coen

Die Coen-Brüder haben das US-Kino geprägt und mit vielen Stars zusammengearbeitet. Eine Dokumentation versucht nun, das Geheimnis ihres Erfolges zu entschlüsseln - und stößt vor allem auf interessante Frauen

von Manfred Riepe  05.12.2025

Köln

Andrea Kiewel fürchtete in Israel um ihr Leben

Während des Krieges zwischen dem Iran und Israel saß Andrea Kiewel in Tel Aviv fest und verpasste ihr 25. Jubiläum beim »ZDF-Fernsehgarten«. Nun sprach sie darüber, wie sie diese Zeit erlebte

 05.12.2025

Genf

Entscheidung gefällt: Israel bleibt im Eurovision Song Contest

Eine Mehrheit der 56 Mitgliedsländer in der European Broadcasting Union stellte sich am Donnerstag gegen den Ausschluss Israels. Nun wollen Länder wie Irland, Spanien und die Niederlande den Musikwettbewerb boykottieren

von Michael Thaidigsmann  04.12.2025

Medien

»Die Kritik trifft mich, entbehrt aber jeder Grundlage«

Sophie von der Tann schwieg bislang zur scharfen Kritik. Doch jetzt reagiert die ARD-Journalistin auf die Vorwürfe

 04.12.2025