Filmgeschichte

Rückkehrer und Dagebliebene

Viele jüdische Filmschaffende haben sich mit Deutschland in ihren Arbeiten auseinandergesetzt und diese Reflexionen auf die Leinwand gebannt.

Kurz nach dem Anschlag in Halle braucht es kaum Worte, um zu erläutern, wie aktuell das Nachdenken über die Konditionen jüdischen Lebens in Deutschland nach der Schoa ist. Obwohl es bis heute fragil ist, begann diese Auseinandersetzung bald nach der deutschen Niederlage am 8. Mai 1945 – zunächst für die Exilantinnen und Exilanten.

Generation Doch die damit verbundene Frage tauchte auch für nachfolgende Generationen immer wieder auf: Kann man in Deutschland bleiben oder sogar dorthin zurückkehren? Und wenn ja: Wie kann ein Leben hier aussehen?

Zentrale Themen sind dabei die Allgegenwart der Vergangenheit, die Kontinuität von Antisemitismus und die Sicherheit jüdischen Lebens, aber auch die Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden und die öffentliche Rolle, die ihnen zugeschrieben wird. Vielleicht ist das im Kern jüdische Erfahrung in Deutschland nach der Schoa: Das Verhältnis ist nicht selbstverständlich, oft konflikthaft und von einer starken Reibung geprägt, die von Intellektuellen, Künstlerinnen und Autoren durchaus produktiv gemacht wurde. Die Auseinandersetzungen gleichen Wellenbewegungen, und diese drängenden Fragen werden durch politische wie lebensgeschichtliche Ereignisse immer wieder aktualisiert.

KAMERA Auch viele jüdische Filmschaffende haben sich mit Deutschland in ihren Arbeiten auseinandergesetzt und diese Reflexionen auf die Leinwand gebannt – sporadisch oder auch wiederkehrend und intensiv. Es sind künstlerische Auseinandersetzungen, die ihre Entsprechungen vielfach hinter der Kamera haben. Vor naiven biografischen Engführungen sei wie immer gewarnt. Es sind nicht genau die erzählten Filmgeschichten, aber eben im Kern die genannten Themen, die im Leben der Regisseure, Schauspielerinnen und Autoren eine Rolle gespielt haben.

Der Produzent Erich Pommer kehrte 1946 als US-Filmoffizier zurück.

Noch während des Zweiten Weltkriegs diskutierten Filmschaffende im Exil über die Möglichkeit der Rückkehr, der Remigration nach Deutschland. Was für viele undenkbar war, wurde für andere Realität – oft mit mindestens ambivalenten, wenn nicht gar enttäuschenden Erfahrungen verbunden. Der Produzent Erich Pommer kehrte früh, 1946, als amerikanischer Filmoffizier zurück. Er unterstützte für die Alliierten den Aufbau der deutschen Filmindustrie und war 1948 an der Gründung der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle) in Wiesbaden beteiligt, kehrte jedoch 1949 in die USA zurück.

Fritz Kortner, der gefeierte Schauspieler der Weimarer Republik, konnte in den USA wegen sprachlicher Schwierigkeiten nicht so arbeiten, wie er sich das wünschte. Schon im kalifornischen Exil schrieb er den ersten Entwurf für das Drehbuch zu Der Ruf, einem Film, der von einem Philosophieprofessor erzählt, der dem Rückruf seiner ehemaligen Universität folgt und nach Deutschland zurückkehrt. In realitas gab es solche Rückrufe kaum – sicherlich ein sprechendes Versäumnis der deutschen Nachkriegszeit.

Doch Kortner kehrte im Dezember 1947 tatsächlich zurück, und es dauerte nicht lange, bis er ebenjenen Professor, die Hauptfigur in Der Ruf, spielte – Erich Pommer hatte dem Projekt die nötige Lizenz und auch finanzielle Unterstützung verschafft. Doch Fritz Kortner überarbeitete nach seiner Rückkehr nach Deutschland das Drehbuch – anhaltender Antisemitismus unter den Studenten und ein weniger versöhnliches Ende hielten in diese neue Fassung Einzug.

Die Vermutung liegt nahe, dass Fritz Kortner die im amerikanischen Exil geschriebene und von Hoffnungen geprägte Erzählung seinen tatsächlichen Erfahrungen und Eindrücken anpasste. Die Rolle der Frau des Professors spielte seine eigene Frau: Johanna Hofer. Die Tochter eines jüdischen Vaters hatte mit Fritz Kortner bereits 1932 ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt. 1947 kehrten sie gemeinsam zurück – nach Deutschland und auf deutsche Bühnen. Wie übrigens auch ihre Schwester Maria Matray, die zurückgekehrt aus dem amerikanischen Exil bis in die 80er-Jahre Drehbücher für das bundesdeutsche Fernsehen schrieb.

ARBEITSORT Nicht nur für die Remigranten und Exilantinnen unter den jüdischen Filmschaffenden war die Auseinandersetzung mit Deutschland prägend. Auch die nachgeborenen Generationen setzten sich filmisch mit Deutschland auseinander. Es war und ist für sie Arbeitsort, temporärer oder dauerhafter Lebensmittelpunkt, Geburtsort oder Land der Eltern und Großeltern. Jeanine Meerapfel zeigt in ihrem Dokumentarfilm Das Land meiner Eltern eine präzise Bestandsaufnahme der BRD der frühen 80er-Jahre. Yael Reuveny als Angehörige der dritten Generation folgte in Schnee von gestern (2013) der Geschichte des Bruders ihrer Großmutter.

Das Motiv des Kommens und Gehens prägt jüdische Filmwelten.

Jüngst zeichnete Alexa Karolinski in Lebenszeichen – Jüdischsein in Berlin den Weg und das jüdische Selbstverständnis ihrer Mutter nach, nachdem sie bereits vier Jahre zuvor ihrer Großmutter und deren bester Freundin das filmische Porträt Oma und Bella gewidmet hatte.

Doch es sind nicht nur dokumentarische Annäherungen, im Gegenteil. In Spielfilmen tauchen jüdische Remigranten, Rückkehrerinnen auf Zeit, Touristen und Besucherinnen auf; das Motiv des Kommens und Gehens, die Verhandlung von Zugehörigkeiten und Differenz prägen auch fiktive Filmwelten: In Jeanine Meerapfels La Amiga verlässt die Schauspielerin Raquel während der Militärdiktatur Argentinien in Richtung Berlin. Deutsche und argentinische Geschichte wird über die Figuren zweier Freundinnen erzählt und behutsam zueinander in Beziehung gesetzt.

GENERATIONEN In Thomas Braschs Spielfilm Der Passagier (1989) kehrt der Regisseur Cornfield für Dreharbeiten nach Deutschland zurück. Während des Drehs eines Holocaustfilms setzt sich die fiktive Figur mit der eigenen Vergangenheit im Spiegel einer Film-im-Film-Konstruktion auseinander. Die verschachtelten Narrative und die Unzuverlässigkeit der Erzählperspektiven stehen symbolisch für die Bedingtheit von Erinnerungen. Die Rückkehr an den Ort des Geschehens wird zum Auslöser von verdrängter Erinnerung. Und in Dani Levys Kurzfilm Neues Deutschland: Ohne Mich aus dem Jahr 1993 flieht die vom Regisseur gespielte Hauptfigur vor dem erstarkenden Neonazismus der 90er-Jahre an den einzigen Ort, wo Juden vor Antisemitismus sicher sind: auf den Mond.

Die Auseinandersetzung mit Deutschland ist dabei immer gebunden an Generationengespräche – den familiengeschichtlichen Spuren zu folgen und das Verhältnis der Eltern oder Großeltern zu diesem Land zu vermessen, erscheint vielfach als Schritt, das Eigene auszuloten. Die Migrationslinien in den jüdischen Biografien und Familiengeschichten haben sich in den letzten 30 Jahren verändert, doch – zumindest das lässt sich auch positiv fassen – das Verhältnis zu Deutschland bleibt auch weiterhin für Filmschaffende eine produktive künstlerische Reibungsfläche.

Die Autorin ist Film- und Medienwissenschaftlerin. Einführungstext zu der Tagung »Ambivalenzen – jüdische Filmschaffende und ihr Verhältnis zu Deutschland« der Bildungsabteilung im Zentralrat vom 13. bis 15. November in Wiesbaden

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