TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

Hans Rosenthal in seiner ersten »Dalli Dalli Show«, Sendung vom 12.5.1971 Foto: picture alliance/United Archives

Ganze 25 Sekunden zu früh ist die ZDF-Sendung »Dalli Dalli« zu Ende - die lässt Hans Rosenthal nicht ungenutzt verstreichen. Der Moderator animiert sämtliche im TV-Studio Anwesenden, freundlich in die Kameras zu winken. Hinterher ärgert er sich über die verpatzte Punktlandung. Diese Sequenz, mit der »Rosenthal« beginnt, erzählt mindestens zweierlei über den berühmten deutschen Quizmaster: dass der 1987 verstorbene Entertainer stets den Menschen zugewandt war - und ein Perfektionist.

Zu Rosenthals 100. Geburtstag am 2. April strahlt das ZDF einen Spielfilm über dessen Leben aus: am Montag, den 7. April, von 20.15 bis 21.45 Uhr. Direkt im Anschluss läuft die Doku »Hans Rosenthal - Zwei Leben in Deutschland«.

Eben jenen »zwei Leben« versucht auch der fiktionale Film, der in Rücksprache mit Rosenthals Kindern Gert Rosenthal und Birgit Hofmann entstand, gerecht zu werden. Rosenthal war Jude; dem Nazi-Regime entkam er nur durch viel Glück und die Hilfe dreier Frauen: Sie halfen ihm beim Untertauchen in einer Berliner Kleingartenanlage, wo er bis Kriegsende ausharrte. Hans‘ zehn Jahre alter Bruder und weitere Angehörige wurden von den Nazis ermordet.

Karrierestart beim RIAS

Nach dem Krieg machte Rosenthal zunächst beim RIAS Berlin Karriere; in den 1950er bis 80er Jahren war er mit Sendungen wie »Dalli Dalli« oder »Spaß muss sein« einer der beliebtesten Quizmaster im deutschen Rundfunk. Über seine Vergangenheit sprach Rosenthal kaum - bis er 1980 seine Autobiografie veröffentlichte.

Der von Gernot Krää geschriebene und von Oliver Haffner inszenierte Film nimmt die Jahre 1977 und 1978 in den Blick und verknüpft dabei geschickt die beiden extrem gegensätzlichen Leben des Hans Rosenthal. Im Zentrum der Story steht ein Terminkonflikt: zwischen dem groß geplanten 40-jährigen Gedenken an die Novemberpogrome und der 75. »Dalli Dalli«-(Live)-Sendung, die just für denselben Tag anvisiert ist.

Wenn das Lachen im Hals stecken bleibt

Frühzeitig bemüht sich Rosenthal (hervorragend: Florian Lukas) um ein Gespräch mit ZDF-Programmchef Hummel (schön schmierig: Hans-Jochen Wagner), bittet um eine Verschiebung der Sendung. Doch er wird abgewürgt, vertröstet, nicht ernst genommen, immer und immer wieder - trotz oder gerade wegen seiner unfassbaren Einschaltquoten von bis zu 50 Prozent Marktanteil.

Ziemlich schlecht weg kommt das ZDF in diesem ZDF-Film; Rosenthals Tochter Birgit Hofmann sagte, dass es »eine Genugtuung« für ihren Vater gewesen wäre, diese kritische Selbstdarstellung zu sehen. Die Einsicht an der ZDF-Spitze kommt freilich um viele Jahrzehnte zu spät. Der mächtige Sender setzte sich durch, oder vielmehr: saß es aus. Komisches Potenzial haben die Szenen, in denen Hummel jeder Auseinandersetzung entflieht, sich verleugnen lässt, immer gerade beim Essen, Trinken, auf Dates oder im Urlaub ist. Aus heutiger Sicht ungeheuerlich, wie ignorant man sich im Angesicht der jüngsten Vergangenheit verhielt.

Unterhaltsam, anrührend, nachdenklich

In sämtlichen Rollen toll gespielt, zeichnet »Rosenthal« gelungen ein gesellschaftliches Klima nach, in dem man nichts wissen will von den Gräueln der Nazizeit. Und mittendrin wird ein Mann bejubelt, der sich sehr bewusst ist, dass ihn eben jene Applaudierende wenige Jahrzehnte zuvor womöglich denunziert hätten. Der den Deutschen mit viel Charme und Warmherzigkeit aber dennoch gibt, was sie wollen: Spiel und Spaß, eine Auszeit vom Alltag. Unpolitisch ist er nicht, will mit seinem Beispiel zeigen, dass Juden nicht anders als andere Menschen sind. Von den Jüngeren aus der jüdischen Gemeinde aber wird der Showmaster zunehmend kritisiert...

Lesen Sie auch

»Rosenthal« verknüpft zahlreiche Fäden rund um das Thema Vergangenheitsbewältigung zu einem stimmigen Ganzen und verdichtet zugleich die unfassbare Lebensgeschichte des großen Menschenfreundes Hans Rosenthal zu einer mitreißenden Geschichte. Entstanden ist dabei ein unterhaltsamer, anrührender und nachdenklich stimmender Film, dessen Kernthema - Antisemitismus und seine Folgen - hundert Jahre nach Hans Rosenthals Geburt immer noch beziehungsweise einmal mehr höchst virulent ist.

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025