Serie

Psychoanalyse und Popkultur

Spielt 1886 in Wien: die Serie »Freud« Foto: Jan Hromadko/SATEL Film Gmbh/Bavaria Fiction Gmbh

Freud ist die neue Serie von Marvin Kren, die, wie auch schon seine Mafia-Ballade 4 Blocks, in der Serien-Sektion der Berlinale Premiere feierte. Es geht darin um Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse, zumindest im weitesten Sinne.

Denn Kren hat nicht eine biografisch-filmische Auseinandersetzung mit dem Psychoanalytiker im Sinn, sondern eine popkulturelle Aneignung: Freud nimmt sich die reale Person und dreht sie mit einem Genrepotpourri aus Mörderjagd, Mystery- und Okkultthriller durch den Fleischwolf. Herausgekommen ist eine trashige, aber unterhaltsame Reise in die Psyche(n).

Handlungsort ist Wien, wir schreiben das Jahr 1886. Die Stadt ist dunkel und verrucht: die architektonische Manifestation des Unbewussten, wenn man so will. In den Gassen voller Säufer und Huren treibt ein Mörder sein Unwesen, der eine Prostituierte aufgeschlitzt hat – Jack the Ripper lässt grüßen. Natürlich wird Freud (Robert Finster), wie es diese wilde Geschichte möchte, in den Fall hineingezogen, als zwei Polizisten ihm die Frau halb verblutet auf den Schreibtisch legen.

SCHNITZLER Der Psychoanalytiker ist in seinen jungen Jahren und noch weit entfernt von seinem späteren Popstar-Status. Von den medizinischen Kollegen wird er für seine Ideen vom Unbewussten und seine Hypnosetechnik ausgelacht und gemobbt. Kren zeichnet seinen Freud als motivierten Dauerkokser, der zwischendurch mit dem Schriftsteller Arthur Schnitzler (Noah Saavedra) die Feste der Wiener High Society unsicher macht.

Freud macht als Dauerkokser die High Society unsicher.

Als »Denker und Rebell« stellt Schnitzler seinen Freund vor. »Vorsicht, Clara, ein Jude«, bekommt Freud kurz darauf von seinem medizinischen Rivalen Dr. Leopold von Schönfeld (Lukas Watzl) zu hören. Mit Schmiss im Gesicht, eitlem Gebaren und seinen Verbindungsbrüdern verkörpert Schönfeld den antisemitischen Gegenpol.

Freuds Judentum ist immer wieder Thema. So begeht er mit seiner Familie den Schabbat, verzichtet dabei aber auf seine Kippa. Er sitzt zwischen den Stühlen.

SALOMÉ Die Mordermittlungen werden den Psychoanalytiker in Wiens feine Hedonistengesellschaft führen, die auf wilden Séance-Partys Wirklichkeitsflucht betreibt. Fleur Salomé (Ella Rumpf) lautet der bedeutungsschwangere Name des Mediums, das für einen regelrechten Ansturm Interessierter in den herrschaftlichen Gemächern eines Grafenpaares die Türen zur Geisterwelt öffnet. Was sich in den ersten Folgen der Serie andeutet, ist nur der Bodensatz einer größeren Verschwörung.

Die erste Kooperation zwischen dem ORF und Netflix ist eine Tour de Force durch alle Wahrnehmungsebenen. Hier wird im Laufe der Ereignisse wild herumhypnotisiert, ein schwules Polizistenpaar wird ebenso eine Rolle spielen wie ihr Kollege Alfred Kiss (Georg Friedrich). Der kriegstraumatisierte Inspektor mit dem gewaltigen Oberlippenbart und Pickelhaube auf der Glatze entpuppt sich als eine der interessantesten Figuren der Serie. Stille Wasser sind tief.

All das mag dem geneigten Kulturpessimisten eine Nummer zu seicht daherkommen. Sigmund Freud auf Mörderjagd? Sicherlich, eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Denker sucht man vergebens. Aber wie Marvin Kren und seine Ko-Autoren Stefan Brunner und Benjamin Hessler das Freud’sche Unbewusste, Verdrängung, Trieb und Sublimation zum Motor eines reißerischen Fin-de-Siècle-Thrillers machen – das ist gepflegte Unterhaltung mit Gänsehautmomenten in teils elaboriertem Österreichisch. Aber es gibt ja Untertitel.

Staffel 1 läuft ab 23. März auf Netflix.

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