Gemeindetag-Lesung

Plötzlich jüdisch

»Du bist kein ganzer Deutscher«: Schauspieler und Bestsellerautor Christian Berkel (62) Foto: imago images / Future Image

Nächstes Jahr ist Feierabend. Dann wird nach 14 Jahren und 109 Folgen der ZDF-Dauerbrenner Der Kriminalist eingestellt und Kommissar Bruno Schumann, gespielt von Christian Berkel, quasi in Rente geschickt. »Mein Ziel war es immer, aufzuhören, wenn es am schönsten ist«, sagt Berkel über seinen Abschied.

Doch für den 62-Jährigen ist noch lange nicht Schluss – ganz im Gegenteil! »Ich habe die Rolle sehr gerne gespielt und meine Arbeit geliebt, aber ich möchte mich jetzt wieder neuen Projekten zuwenden.« Und daran wird es ihm garantiert nicht mangeln. Denn Berkel gehört zu den wenigen deutschen Stars, die auch in Hollywood einen Namen haben. Unter anderem spielte er in Operation Walküre an der Seite von Tom Cruise und in Inglourious Basterds zusammen mit Brad Pitt. Oftmals verkörperte Berkel einen Nazi, so auch in dem Spielfilm Der Untergang aus dem Jahr 2004, in dem er den SS-Arzt Dr. Ernst Günther Schenck spielte.

NAZIFILME Doch irgendwann hatte Berkel die Nase voll davon, den bösen Deutschen zu mimen. Als vor einigen Jahren ein Artikel mit der Überschrift »Schauspielstar Christian Berkel – unser Mann für Nazifilme« erschien, reichte es ihm endgültig. »Das war der Punkt, an dem es mir zu viel wurde«, erklärte er der »Berliner Morgenpost«.

Groß daher die Erleichterung, als 2015 das Angebot kam, mit Superstars wie Bryan Cranston und John Goodman in dem Drama Trumbo zusammenzuwirken und in die Rolle des aus Österreich geflohenen jüdischen Regisseurs Otto Preminger zu schlüpfen. Keine leichte Aufgabe, schließlich hatte es dieser auch nach Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten nicht geschafft, seinen Wiener Akzent im Englischen loszuwerden – für einen in Berlin geborenen Schauspieler wie Berkel schon eine Herausforderung.

Berkels Mutter Sala war Jüdin, Vater Otto Katholik. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Aber ein Punkt war vielleicht noch viel wichtiger: Die Filmrolle hatte durchaus Bezug zu Berkels eigener Familiengeschichte. Denn seine Mutter Sala war Jüdin, der Vater Otto Katholik. Beide waren noch Teenager, als sie sich kennenlernten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Aber die Verhältnisse ließen eine Beziehung nicht zu.

Sie floh vor den Nazis nach Paris, wurde denunziert und kam in das berüchtigte Internierungslager bei Gurs. 1943 ging es dann weiter Richtung Leipzig, wo sie untertauchen konnte. Nach dem Krieg emigrierte Sala nach Argentinien. Dort aber hielt sie es nicht lange aus und kehrte nach Deutschland zurück. Der Vater dagegen war Arzt bei der Wehrmacht und geriet in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1950 freikam.

SCHWEIGEN Lange wurde über all das nicht geredet – auch nicht, nachdem Sohn Christian 1957 auf die Welt kam. Erst im Alter von sechs Jahren erfuhr er eher beiläufig, dass seine Herkunft keine gewöhnliche war. Und das geschah folgendermaßen: Damals lockte Berkel junior seine Familie gerne unter den Apfelbaum im elterlichen Garten, wo er Stühle aufstellte und mehr oder weniger unterhaltsame Geschichten von sich gab. Das sollte sozusagen seine erste Bühne sein.

Eines Tages war auch ein Onkel aus Amerika, der zu Besuch weilte, mit von der Partie. Mutter Sala erzählte, dass dieser Jahre zuvor aus Deutschland flüchten musste, anderenfalls wäre er nicht mehr am Leben. Dann sagte sie ihrem Sohn ganz unvermittelt: »Du bist ein bisschen jüdisch, aber nicht ganz. Und du bist auch kein ganzer Deutscher.« In den Kinderohren klang das ein wenig wie »kaputt«, erinnerte sich Berkel kürzlich im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen.

Mit seinem Debütroman ist für Berkel die Spurensuche noch lange nicht zu Ende.

Jahre später erst fing der Schauspieler an, sich mit seiner Familiengeschichte intensiver auseinanderzusetzen. Zwar hatte Berkel nie mit der Tatsache hinter dem Berg gehalten, dass er sowohl jüdische als auch katholische Wurzeln hat.

Nun aber recherchierte er in den Archiven, fand in der Akademie der Künste alte Briefe seiner Mutter an den Großvater und begann, aus zahlreichen Puzzleteilen die Vergangenheit zu rekonstruieren. Daraus entstand 2018 sein Debütroman Der Apfelbaum, aus dem Berkel am Freitag auf dem Gemeindetag des Zentralrats der Juden lesen wird. Figuren und Ereignisse orientieren sich am Faktischen, fiktiv sind Teile der Interaktion zwischen den einzelnen Protagonisten – schließlich sollte es kein trockenes Sachbuch werden.

IDENTITÄT »Ich bin oft gefragt worden, wie ich meine jüdische Identität erlebe«, betont Berkel. »Das ist natürlich sehr komplex, wie man an dem Buch ja merkt. Ich bin nicht damit aufgewachsen. Ich war der Einzige in der Familie, der sich dafür interessiert hat. In diesem Sinne war meine Identifikation immer das Judentum der Diaspora, dieses Überall-Sein, dieses teilweise Dazugehören.« In Berlin ging er auf das Französische Gymnasium und wechselte im Alter von 14 auf eine Schule in Paris. Damals wollte er Franzose werden. Dort auch nahm er ersten Schauspielunterricht. Dann wieder Berlin, Aufnahme in die Deutsche Film- und Fernsehakademie. Und bereits mit 19 erhielt er seine erste große Rolle, als Ingmar Bergman Berkel für den Film Das Schlangenei verpflichtete.

Bei dem einen Buch soll es wohl nicht bleiben. Eine Fortsetzung darüber, was die Familie in der jungen Bundesrepublik erleben musste, als hochrangige Altnazis in Politik, Justiz oder im Kulturbetrieb noch das Sagen hatten, ist in Planung. Darüber hinaus arbeitet Berkel fieberhaft an einer Miniserie auf Basis von Der Apfelbaum. Ob er selbst darin einen Part übernimmt, lässt er noch offen. Dass seine Frau, die ebenfalls aus Film und Fernsehen bekannte Schauspielerin Andrea Sawatzki, mitspielt, hält er dagegen für ausgeschlossen, weil die passende Rolle fehlen würde.

DROHUNGEN Was aber heute bereits traurige Realität ist: Durch das Bekanntmachen seines jüdischen Familienhintergrunds droht ihm Ungemach von rechtsaußen. So tauchte sein Name in einer rechtsextremen Datenbank auf, wie er vor Kurzem bekannt machte. »Ich stehe auf einer Liste der sogenannten ›Verräter der weißen Rasse‹. Hinter meinem Namen steht ein ›Judenstern‹.«

Berkel sorgt sich wegen des wachsenden Antisemitismus und wegen der Bedrohung durch Rechtsextremisten. »Ich stelle fest, dass ich mir seit einiger Zeit überlege, wo ich hingehe, wo es möglicherweise gefährlich ist.« Genauso steht für ihn aber auch fest, dass er durch die Drohung nicht weniger von sich und seiner besonderen Geschichte erzählen wird. »Ich lasse mich nicht einschüchtern. Schon gar nicht von Neonazis.«

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