Berlinale-Preisverleihung

Ohne Israelhass geht es nicht

Am Samstagabend fand die Preisverleihung der 75. Berlinale statt Foto: picture alliance / PIC ONE

Die Preisverleihung der 75. Berlinale ist vorbei. Gerade mal eine Stunde hat es gedauert, bis die glänzenden Bären vergeben waren. Doch auch dieser Abend vor dem wichtigsten Wahltermin Deutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs kam nicht ohne Israelhass aus.

Natürlich gab es auf dem roten Teppich eine Keffiyeh und Melonen-Ohrringe zu sehen, zum Glück nur kurz. Und natürlich entblödeten sich zwei Kreative, der Regisseur Radu Jude und die Jurorin Meryam Joobeur, auch nach der letztjährigen Skandal-Berlinale nicht, ihren Israelhass unbedingt auf die Bühne tragen zu müssen, was der denkfaule Teil des Publikums auch noch dankbar beklatschte. Zwei Tage nachdem die Hamas zwei kleine Kinder in Särgen nach Israel schickte. Aber der Raum der Hassredner war immerhin begrenzter als im vergangenen Jahr. Und nachdem Moderatorin Désirée Nosbusch zu Beginn der Verleihung dem Opfer des antisemitischen Angriffs am Holocaust-Mahnmal am Freitagabend wenige Hundert Meter entfernt vom Festivalpalast gedachte, sollte das letzte Wort der Besonnenheit vorbehalten sein, oder zumindest dem Aufruf dazu.

Hoffentlich eröffnet die kommende Berlinale nicht mit Riefenstahl

Dass das Enfant terrible des rumänischen Films, Radu Jude, möglichst provokant herumpöbeln musste - Der internationale Gerichtshof in Den Haag solle seinen Job machen und die »mörderischen Bastarde« greifen -, war vorhersehbar. Immerhin sorgte er auch für einen Sucker-Punch in die Abendgarderoben-Mitte der selbstverliebten Filmszene, als er seine Hoffnung kundtat, dass nach der morgigen Bundestagswahl die kommende Berlinale nicht mit Leni Riefenstahls Nazipropaganda Triumph des Willens eröffnet.

Lesen Sie auch

Doch Meryam Joobeur, ein Mitglied der Perspectives-Jury, griff so unfassbar daneben, dass sie in Zukunft für immer ausgeladen gehört: Ihre Laudatio auf den mexikanischen Regisseur Ernesto Martínez Bucio, der für sein Erstlingswerk The Devil Smokes mit dem GWFF Best First Feature Award ausgezeichnet wurde, war Antisemitismus auf dem Rücken des Gewinners. »In jüngster Zeit und in der Gegenwart haben wir miterlebt, wie Männer und Frauen durch die Linse eines Scharfschützengewehrs blickten, auf den Kopf und das Herz eines Kindes zielten und abdrückten«, sagte die Kanadierin mit tunesischen Wurzeln, die in einem palästinesischen Thobe-Stickerei-Kleid auftrat. »Wir haben die Vernichtung Tausender Kinder gesehen, die von politischen und journalistischen Kräften als reine Kollateralschäden abgetan wurden.«

Keine Sekunde stand infrage, dass Israel gemeint war. Die Kindermörder-Propaganda ist bekannt. Der Regisseur war sichtlich verwirrt, was das mit seinem Film - der übrigens von Kindern handelt, die von ihren Eltern verlassen wurden und sich ihren Ängsten stellen müssen zu tun haben soll - und wohl zu aufgeregt, um darauf einzugehen. Ärgerlich, dass ihm niemand zu Seite stand. Er schloss trotzdem mit dem schönen, an die jungen Darsteller seines Films gerichteten Satz: »Wenn ihr zwischen Angst und Liebe wählen müsst, nehmt bitte immer die Liebe«.

Verschiedene Standpunkte

So wie Holding Liat, Brandon Kramers Film über die Familie einer von Hamas-Terroristen nach Gaza verschleppten Geisel gewann den Silbernen Bären für den besten Dokumentarfilm. Kramer hat die Kamera direkt in die Familie gehalten – und dort auf die emotionalen und auch politischen Verwerfungen in dieser unvorstellbar brutalen Situation. Schwer zu verdauendes Kino, aber ein nötiger Blick auf möglichst viele Seiten des Schmerzes.

Fast jeder Ausgezeichnete verwies an diesem festlichen Abend auf die schwere Zeit, die die Welt gerade durchlebe. Immerhin war es der Mehrheit der Gewinner dabei trotzdem wichtig, sich zu bedanken bei Team und Filmfest. Hege Hauff Hvattum, Co-Produzentin des Gewinners des Goldenen Bären Dreams fand am Ende der Verleihung die passenden Worte für die kommenden Festivals: Sie hoffe, dass Filme sich anstatt auf Konflikte darauf konzentrieren, den Standpunkt anderer zu verstehen. Und Dreams-Regisseur Dag Johan Haugerud fügte hinzu: »Schreiben Sie mehr und lesen Sie mehr, das erweitert ihren Verstand«. Mögen sie erhört werden.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025