Konzert

Noch schlimmer als erwartet

Genau zehn Minuten vor Konzertbeginn schallt die Stimme von Roger Waters durch die enormen Lautsprecher in der Mercedes-Benz Arena. Auf riesigen Bildschirmen wird das Gesagte schriftlich untermauert. Die Message: Nicht nur sei er kein Antisemit, sondern er verurteile auch jede Form des Antisemitismus. Für jemanden wie Roger Waters, der seit Jahren Unwahrheiten über Israel verbreitet, ist diese Aussage nicht nur sehr gewagt, sondern schlicht absurd.

Was in der vergangenen Woche in Berlin über die Bühne ging, war kein konventionelles Konzert, sondern eine Propagandaveranstaltung mit Musik von einem greisen Rock-Meister. Sein Hass auf Israel wird immer wieder sicht- und hörbar. Die Musik des früheren Pink-Floyd-Mitgliedes, so scheint es, war hier lediglich ein Nebenaspekt. Waters lieferte einen als Konzert getarnten Abend für ein Publikum, das zum Großteil gewillt schien, die Propaganda nicht nur zu akzeptieren, sondern auch noch zu bejubeln.

Seit Jahren verbreitet Roger Waters Unwahrheiten über Israel.

»Leute, die nur hergekommen sind, weil sie Pink Floyd gut fanden oder die Musik mögen, aber Rogers politische Aussagen kritisieren, sollten sich besser verpissen und an die Bar gehen«, heißt es zu Beginn der Show, die Teil der »This is Not a Drill«-Tour ist und von denen Berlin gleich zwei über sich ergehen lassen musste.

botschaft War The Wall ein großes Rock-Album, zu dem Waters als Komponist entscheidend beitrug? Absolut. Lieferte er in Berlin eine gekonnte Vorstellung auf einer in Kreuzform aufgebauten Bühne unter gigantischen Bildschirmen? Ja. Klingt Waters für sein Alter stimmlich recht kräftig und professionell? Genau. Das Problem ist nicht der musikalische Part seiner Performances, sondern die in die Show eingebaute Botschaft des Hasses.

Namen von getöteten Palästinensern huschen über die Monitore, schlecht versteckt zwischen anderen Namen, darunter Anne Frank. Was Waters damit sagen will, ist klar: Er vergleicht Israel – zumindest indirekt – mit Nazi-Deutschland.

Immer wieder, direkt oder unterschwellig, bezichtigt er den jüdischen Staat der Taten, für die in Wahrheit dessen Feinde im Nahen Osten verantwortlich sind, Terrororganisationen, die Israel immer wieder angreifen, um sich dann darüber zu beschweren, dass das Land reagiert. Hier verbreitet ein manischer BDS-Unterstützer unbehelligt lupenreinen Antisemitismus in der deutschen Hauptstadt.

»kriegsverbrecher« Die US-Präsidenten Reagan, Bush, Obama, Trump und auch Biden werden im dritten Lied, das Waters spielt, mal eben als Kriegsverbrecher betitelt – auf den gigantischen Bildschirmen in der Halle. Dann ist wieder eine Brise Nostalgie an der Reihe. Ein paar alte Pink-Floyd-Songs können aber nicht vergessen machen, was zu diesem Zeitpunkt bereits an haarsträubenden Vergleichen gezogen wurde oder welche skandalösen Beschuldigungen durch die Mercedes-Benz Arena, die viertgrößte Halle Deutschlands, schallten.

Eine etwas monotone Version von »Shine On You Crazy Diamond« oder der etwas besser gespielte Klassiker »Wish You Were Here« können diese Veranstaltung nicht retten, da sie eine Propagandashow ist, die schon vor der Arena ein Magnet für Antisemiten war. Hier verbreitete die Israel-Boykott-Bewegung BDS, deren Sprachrohr Waters ist, Lügen über den jüdischen Staat: »Roger unterstützt BDS. Wir unterstützen BDS. Warum nicht auch du?«, heißt es auf einem Transparent, das von teilweise vermummten Personen gehalten wird, mitsamt einer Palästinenser-Flagge und einer Auflistung der üblichen Lügen über die einzige Demokratie im Nahen Osten.

Watersʼ Äußerungen zum Krieg in der Ukraine haben ebenfalls immer wieder für Aufsehen gesorgt – etwa, dass Russlands Präsident Wladimir Putin damit den Faschismus in dem Land bekämpfen wolle und die USA der Hauptaggressor seien.

FLUGBLÄTTER Gemessen an den zahlreichen Diskussionen und Absage-Forderungen im Vorfeld der beiden Berliner Konzerte von Roger Waters waren sehr wenige pro-demokratische Protestierer vor Ort. Die »WerteInitiative« verteilte Flugblätter mit QR-Codes, die zu einem Video führen, in dem Waters’ Positionen eingeordnet wurden. Die Aktion schien jedoch niemanden davon abzuhalten, das Konzert des Briten zu besuchen. Ganz im Gegenteil: Die anti-israelische und anti-amerikanische Propaganda kam bestens an.

»Resist Capitalism« lautet eine weitere Botschaft des Musikers in der Mercedes-Benz Arena.

»Ich glaube, Roger ist alles, aber kein Antisemit, und man sollte nicht den Fehler machen, Kritik an der Politik der Regierung mit Antisemitismus gleichzusetzen«, äußert sich ein etwa 50-jähriger Fan, der mit seinem Sohn gekommen ist, ohne das Wort Israel in den Mund zu nehmen. Seine Aussage ist noch vergleichsweise moderat. Ein britischer Besucher im gleichen Alter sagt: »Ich habe ihn schon reden hören. Er ist so klar und überzeugend. Er ist kein Antisemit, sondern nur gegen die Apartheid, die in Palästina existiert.«

Dass es einen Staat Israel gibt, der mehrheitlich jüdisch ist, aber zu 21 Prozent aus arabischen Bürgern besteht, dass die Mitglieder dieser großen Minderheit mehr Freiheit genießen, als sie ihnen jeder arabische Staat bieten würde, und dass sich Israel gegen den palästinensischen Terror wehren muss, um existieren zu können und seine Bewohner zu schützen, hat sich vor der großen Halle entweder noch nicht herumgesprochen, oder die Gewalt gegen den jüdischen Staat wird begrüßt.

Dov Gil-Har bildet da eine Ausnahme. Der Korrespondent des israelischen öffentlich-rechtlichen Senders KAN ist ein Ein-Mann-Team mit Kamera. »Weißt du, wenn die BDS-Bewegung nur die Siedlungen und die Besatzung kritisieren würde, könnte man vielleicht noch sagen, es handle sich um eine legitime, politische Meinung«, so der Kollege. »Allerdings unterstützen die meisten BDS-Leute einen Boykott des gesamten Staates Israel und wenden sich gegen seine Existenz. Dem einzigen jüdischen Staat das Existenzrecht abzusprechen, das ist Antisemitismus.« Laut Gil-Har ist das israelische Fernsehpublikum an der Story interessiert. Ein Rocksänger verbreitet Antisemitismus. In Berlin. Im Jahr 2023. Und niemand stoppt ihn.

»Resist Capitalism«, »Wehrt euch gegen den Kapitalismus«, das ist die nächste Botschaft des Mannes, der pro Konzert einen hohen sechsstelligen Betrag verdient. Dann wird es noch schlimmer: Roger Waters lässt erneut ein riesiges, aufblasbares Schwein in die Halle aufsteigen und schießt es symbolisch mit lautstarken Maschinengewehrsalven ab, deren Lärm auch aufgrund des konstanten Geräuschlevels der teilweise obskuren und nicht allzu leicht verdaulichen Rock-Klänge fast unerträglich ist. Auf dem Schwein steht auch der Name des israelischen Waffentechnologieunternehmens Elbit Systems. Der Name dient offensichtlich als Platzhalter. Bei früheren Konzerten sah man an dieser Stelle den Davidstern.

MONITORE Nach der Konzertpause erscheint der Schlüsselsatz des Abends auf den großen Monitoren im Zentrum der Halle: »Fuck the Occupation«. »Occu­pation« (Besatzung) ist bei BDS, anderen antisemitischen Bewegungen und bei Terrororganisationen das Code-Wort für Israel. Klarer könnte die Message nicht sein. Ein Musiker bekämpft den jüdischen Staat. Viele der über 10.000 Zuschauer in der Mercedes-Benz Arena reagieren auf diese Statements, indem sie klatschen und schreien. Was hier verbreitet und gefeiert wird, ist keine legitime Meinung oder Kritik, sondern Hass. Etwas anderes war von Roger Waters nicht zu erwarten.

Wirklich enttäuschend ist allerdings die Tatsache, dass die Forderungen nach einer Absage der beiden Konzerte in Berlin fast nur von jüdischen Organisationen gestellt wurden, bevor kurz vor der Show die CDU im Abgeordnetenhaus und der neue Kultursenator Joe Chialo mit einstimmten.

Es war ein erschreckendes und obskures Schauspiel, das hier über die Bühne ging. Man kann froh sein, wenn Roger Waters seine hoffentlich letzte Tour bald beendet. Am Sonntag wird er nach zwei Konzerten in Prag nochmals in der Bundesrepublik erwartet, für einen Auftritt in Frankfurt am Main. Der Stadtrat und das Land Hessen hatten das Konzert abgesagt, denn sie wollten Roger Waters’ Propaganda nicht zulassen. Vor dem Verwaltungsgericht erstritten die Anwälte des Hassbarden jedoch sein Recht, trotz allem aufzutreten.

Am Konzerttag will nun ein von der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt gebildetes Bündnis aus Dutzenden Organisationen um 18 Uhr vor der dortigen Festhalle gegen Judenhass demonstrieren.

Der Klassiker »Wish You Were Here« kann diese Veranstaltung nicht retten.

In München, wo ein Versuch, das dortige Konzert zu streichen, an rechtlichen Problemen scheiterte, ertönte die lauteste Kritik. Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, sagte: »Roger Waters ist ein übler Antisemit.«

Bei einer Demonstration des Bündnisses »München ist bunt!« vor der Olympia­halle sagte Charlotte Knob­loch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, trotz gegenteiliger Bekundungen führender deutscher Politiker habe Antisemitismus »ganz offensichtlich einen Platz in diesem Land«. Sie und die jüdische Gemeinschaft seien es leid, dass solche Auftritte nicht verhindert werden könnten.

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024