Nahostkonflikt

Mythos »Nakba«

Palästinensische Nostalgie: Hausschlüssel als Symbol für das »Rückkehrrecht« Foto: dpa

Nahostkonflikt

Mythos »Nakba«

Eine Ausstellung beim Evangelischen Kirchentag verfälscht Geschichte

von Tilman Tarach  23.04.2013 07:30 Uhr

Würde der Bund der Vertriebenen oder die NPD mit einer Ausstellung auf Tournee gehen, deren Inhalt darin bestünde, tränenreich das Schicksal deutscher Heimatvertriebener sowie akribisch gesammelte Verfehlungen der Anti-Hitler-Koalition anzuprangern – der Skandal wäre perfekt. Die ab 1. Mai auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg zu sehende und dann wieder einmal durch das Land ziehende »Nakba«-Ausstellung verfährt ähnlich, sie idealisiert zudem nationalsozialistisch unterstützte Judenpogrome, sie verfälscht Quellen, vor allem aber verschweigt sie die Ziele und Interessen der Konfliktparteien im Nahen Osten.

Einen Tag nach der Gründung Israels überfielen die Armeen von fünf arabischen Staaten das Land in der erklärten Absicht, es zu zerstören. Schon in den Jahrzehnten zuvor war es immer wieder zu antisemitischen Pogromen gekommen. Doch die Ausstellung stellt die Zionisten als die Aggressoren dar. Eine Karte auf der Schautafel zum »Israelisch-Arabischen Krieg« zeigt Angriffspfeile ausschließlich aus den Regionen des jungen jüdischen Staates.

Rechte Stets ist von »ethnischen Säuberungen« und »Vertreibungen« die Rede, nicht ins Konzept passt folglich ein Hinweis darauf, dass heute etwa 20 Prozent der Israelis Araber sind, die dort weit mehr staatsbürgerliche Rechte genießen als Palästinenser in allen arabisch regierten Staaten, und dass es andererseits für Juden sogar lebensgefährlich sein kann, sich in die Gebiete der Palästinensischen Autonomie zu verirren.

Der hinter der Ausstellung stehende »Verein Flüchtlingskinder im Libanon e.V.« täte gut daran, die in der Tat katastrophale Lage der Palästinenser beispielsweise im Libanon zu skandalisieren, wo sie anders als in Israel kein Wahlrecht haben, keine Immobilien erwerben und zahlreiche Berufe nicht ausüben dürfen.

Gaza, so heißt es in der Ausstellung, komme »einem großen Gefängnis gleich, dessen Land-, Luft- und Seegrenzen von Israel kontrolliert werden«. Ein Blick auf die Landkarte hätte indes gezeigt, dass der Gazastreifen eine weitere Landgrenze hat: zu Ägypten, das insoweit auch die Kontrolle ausübt.

Quellen Haarsträubend auch die Quellenarbeit: Dass ein Anlass zur Flucht der Araber auch »Aufrufe seitens der arabischen Führer« waren, sei widerlegt, liest man auf Tafel 5. Im Ausstellungskatalog wird als Beleg dafür das von Michael Wolffsohn und Friedrich Schreiber verfasste Werk Nahost. Geschichte und Struktur des Konflikts genannt. Dort jedoch findet sich im Gegenteil der Satz »Lokale Führer rieten zur Flucht, die – bis zum arabischen Endsieg – nur von kurzer Dauer sein sollte.« Lediglich an entsprechende Radioaufrufe von höchster Stelle glauben die Autoren nicht.

Verschwiegen wird zudem, dass es auch auf jüdischer Seite Flüchtlinge in etwa gleicher Größenordnung gab. Dass Hunderttausende von Juden – in der Regel unter Zurücklassung ihres Vermögens – nach Ausrufung des Staates Israel ihre arabischen Heimatländer verließen, geschah keineswegs freiwillig, sondern war meist Folge der Verschärfung ihrer Diskriminierung und allzu oft auch handfester Pogrome. Eine Ausstellung zu diesem vergessenen Exodus sucht man in ganz Deutschland vergeblich. Arabische Länder entzogen den Juden massenhaft die Staatsbürgerschaft, konfiszierten ihre Konten und verhafteten sie – vor allem in Ägypten und im Irak – wegen angeblicher Propagierung des Zionismus oder des Kommunismus. Was im Nahen Osten stattfand, war also de facto ein Bevölkerungsaustausch.

Die jüdische Einwanderung habe für die arabisch-palästinensische Bevölkerung »das drohende Ende der Aussicht auf nationale Selbstbestimmung« bedeutet, heißt es auch in der Ausstellung. Doch es waren nicht das Osmanische Reich, nicht England, nicht Jordanien während seiner Besetzung der Westbank oder Ägypten zur Zeit seiner Annexion des Gazastreifens, die einer palästinensischen Staatsgründung eine Chance gaben, sondern es ist Israel.

Sehnsucht Wobei sich die Frage stellt, ob man den Palästinensern angesichts der autoritären Regime der Hamas und der PLO zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirklich einen eigenen Staat wünschen soll, denn, wie Max Horkheimer formulierte, »die Souveränität eines Landes ist etwas anderes als die Freiheit derer, die in ihm leben«. Doch individuelle Freiheit ist die Sache der Ausstellungsmacher nicht, sie beschwören die ewige »Sehnsucht nach der verlorenen Heimat«. Diese Sehnsucht wird leider auch von den Vereinten Nationen am Leben erhalten, laut deren Statuten – anders als bei allen anderen Flüchtlingen – der palästinensische Flüchtlingsstatus vererblich ist; eine Eingliederung in die Fluchtländer wird nicht angestrebt.

Kaum ein Abschnitt der Ausstellung ist objektiv. Die Rolle des berüchtigten Muftis von Jerusalem etwa fehlt vollständig. Bevor dieser glühende Antisemit und Freund Heinrich Himmlers von Berlin aus die Mentorenschaft über die muslimischen SS-Divisionen übernahm, hatte er 1936 den »Arabischen Aufstand« in Palästina organisiert, der nach seiner eigenen Aussage ohne Finanzierung durch das NS-Regime nicht hätte durchgeführt werden können. Die antisemitischen Ausschreitungen in der Region kosteten mehreren Hundert Juden das Leben. In der »Nakba«-Ausstellung aber wird dieser Aufstand – wie schon in der zeitgenössischen NS-Literatur – als »palästinensisch-arabischer Widerstand« verklärt.

Es wird Zeit, dass die Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg und der Evangelische Entwicklungsdienst ihre Unterstützung der »Nakba«-Ausstellung einstellen. Mit ihrem geschichtsrevisionistischen Heimatvertriebenenkult ist sie weder ein Beitrag zum Frieden noch eine Hilfe für modern denkende Palästinenser.

Der Autor ist Verfasser eines Buches über den Nahostkonflikt: »Der ewige Sündenbock« (Freiburg 2011).

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