Revue

Mit dem großen Los in die neue Welt

Die Staatsoperette Dresden zeigt Mischa Spolianskys Stück »Zwei Krawatten« über eine besondere Reise nach Amerika

von Joachim Lange  04.05.2022 15:38 Uhr

Jörn-Felix Alt als Jean in »Zwei Krawatten« Foto: Pawel Sosnowski

Die Staatsoperette Dresden zeigt Mischa Spolianskys Stück »Zwei Krawatten« über eine besondere Reise nach Amerika

von Joachim Lange  04.05.2022 15:38 Uhr

Bei dieser nur leicht verspäteten Premiere an der Staatsoperette Dresden gibt es etliche Musiknummern mehr, als Komponist Mischa Spoliansky und Texter Georg Kaiser ursprünglich für ihr Revuestück Zwei Krawatten zusammengemixt hatten.

Auch das »Lied vom Anderssein«, das als erste heimliche Hymne der Homosexuellen gilt, gehört zu den mehr als ein Dutzend Musiknummern Spolianskys, mit denen Regisseur Matthias Reichwald und sein Team »Die Revue vom großen Los« gemacht haben. Mit bühnenfüllender Revuetreppe von Karoly Risz und viel Glitzer und Glamour der Kostüme von Alexandre Corazzola ist das optisch auf den Punkt gebracht.

COMEDIAN HARMONISTS Die große Show mit Hintersinn war eine Spezialität der 1920er-Jahre. Im boomenden Unterhaltungsbetrieb mischte Mischa Spoliansky (1898–1985) kräftig mit. Bis zu dem in Deutschland notorischen Bruch von 1933, der ihn als Juden vertrieb und seine Musik verbannte. Bei der Uraufführung aber hatte er immerhin Hans Albers als Jean zur Verfügung, mit der damals noch unentdeckten Marlene Dietrich als Mabel auch den richtigen Riecher fürs Personal. Obendrein gehörten die Comedian Harmonists zur Besetzung.

Darauf, dass die zwei Krawatten am Hals ihrer Träger zwei Fliegen sind und die Handlung nicht wirklich plausibel ist, kam es nicht wirklich an. Aber über den beginnenden Amerika-Hype und darüber, dass die einen oben auf der Treppe von Reichtum und Glück stehen und die anderen zwangsläufig weiter unten stehen müssen, erfahren wir einiges.

Kellner Jean wird genötigt, seine Kellnerkrawatte (beziehungsweise Fliege) gegen die eines Gastes auf der Flucht zu tauschen. In der neuen Identität gewinnt er dann das Los für eine Reise in die neue Welt, findet eine zahlungskräftige (Reise-)Begleiterin und gelangt so ins Umfeld der Chicagoer Fleischkönigin Mrs. Robinson.

KELLNERWISSEN Die rettet er mit seinem Kellnerwissen aus der Berliner Spelunkenszene vor einem hochmoralischen Senator, der in eine lockere Party mit viel Alkohol und wenig Kleidung fürs hüpfende Personal platzt und Mrs. Robinson gleich die profitablen Belieferungsverträge fürs Militär canceln will. Der Lohn dafür zerrinnt ihm zwischen den Fingern, er will nur noch zurück nach Berlin. Zu seiner Trude.

Die war ihm aber nachgereist und stellte sich – als größte aller Unwahrscheinlichkeiten – auf der Überfahrt als die Millionenerbin heraus, die der Anwalt Bannermann (kräftig berlinernd: Elmar Andree) schon die ganze Zeit sucht.

Matthias Reichwald setzt bei alledem auf Tempo, auf Witz. Dazwischen vertreten dann die Wiedergänger der Comedian Harmonists als Herrenquintett die Künstler auf der Suche nach dem Hollywood- oder Las-Vegas-Erfolg – da wäre Luft nach oben gewesen, denn hier müssen sie lediglich die amüsierwütigen Amerikaner als Klischee-Europäer mit Melancholie eher langweilen als unterhalten.

BESETZUNG Jörn-Felix Alt ist als Jean auf der Reise nach Amerika, in den Reichtum und zurück genau der Richtige. So wie Devi-Anander Dahm als beherzte Trude. Silke Richter als fulminante Fleischkönigin Mrs. Robinson und Stefanie Dietrich als Mabel sind zwei so unabhängige und selbstbewusste Frauen, dass es geradezu feministisch wirkt. Zugegebenermaßen zieht sich die Handlung manchmal etwas, bleibt auch nicht immer auf dem Pfad der Binnenlogik.

Reichwald kann sich aber auf die Musiker verlassen, die rechts und links der Revuetreppe verteilt sind. Das Manko, keinen echten Ohrwurm zu bieten, gleichen sie zwar nicht aus, aber die recht vielseitigen Nummern für sich genommen zünden. Dafür sorgt vor allem Johannes Pell mit dem Orchester des Hauses. Wie immer sorgen die Damen und Herren des Balletts in Choreografie von Volker Michl für das Salz in der Suppe.

Weitere Aufführungen am 21. und 22. Mai sowie am 11., 12., 22. und 23. Juni

Solidarität

»Ein Schritt nach vorne«

Igor Levit hat einen Abend mit Künstlerinnen und Künstlern im Berliner Ensemble initiiert – und der war absolut notwenig

von Katrin Richter  28.11.2023

USA

Komponist Randy Newman wird 80

Mit Hits und Filmmusik wurde das jüdische Multitalent berühmt

von Christina Horsten  28.11.2023

Lyrik

»Frag nicht, was sein wird«

Ein Gedicht des israelischen Schriftstellers Jehoschua Sobol zur Stimmung in Kriegszeiten. Übersetzt von Anat Feinberg

von Jehoschua Sobol  28.11.2023

Hochschule

Forschung und Collagen

Die Frankfurterin Julia Bernstein ist sowohl Professorin als auch Künstlerin. Ein Porträt

von Gerhard Haase-Hindenberg  27.11.2023

Glosse

Der Rest der Welt

Reißt euch zusammen oder Warum außer mir gerade alle durchdrehen

von Ayala Goldmann  27.11.2023

Geiseln

»Ein ganz kleines Zeichen der Solidarität«

Sänger Joshi von der Punkband ZSK über Unterstüzung für den nach Gaza entführten Schlagzeuger Yotam Haim

von Katrin Richter  23.11.2023

Leon de Winter

»Ich bin ein pessimistischer Realist«

Leon de Winter glaubt, dass das europäische Judentum bis 2050 verschwunden sein wird

von Ralf Balke  23.11.2023

Jahrestag

Alptraumhafte Welt: Vor 30 Jahren hatte »Schindlers Liste« Premiere

»Newsweek« kürte das Werk zum Film des Jahres 1993

von Konrad Ege  23.11.2023

Interview

»Hier fühle ich mich frei«

Tuvia Tenenbom über seine Erlebnisse in der charedischen Gemeinschaft in Mea Shearim

von Detlef David Kauschke  23.11.2023