Interview

»Merz rückt seine Partei rhetorisch in die Nähe von Nazis«

Jan Böhmermann (ZDF Magazin Royal) Foto: picture alliance/dpa

Herr Böhmermann, in Ihrer jüngsten Sendung ging es um eine Therapeutin, die Ihren Recherchen zufolge Unsinn über angebliche rituelle Gewalt von Satanisten verbreitet. Noch vor der Ausstrahlung ging bei der Kölner Polizei nach deren Angaben ein anonymer Hinweis ein, dass Informationen angeblich ausgestrahlt werden sollten, die möglicherweise auf strafrechtlich relevante Weise erlangt worden seien …
Das ist an den Haaren herbeigezogen. Einer unserer Redakteure hat sich bei einem Online-Webinar mit Klarnamen angemeldet, um den fragwürdigen Praktiken einer Psychotherapeutin nachzugehen. Das ist alles. Was ich wirklich bedenklich finde, ist, dass Staatsanwaltschaft und polizeilicher Staatsschutz instrumentalisiert werden, um gegen kritische Berichterstattung vorzugehen oder diese zumindest zu diskreditieren. Wir haben hier noch ein paar andere ähnlich gelagerte Verfahren laufen.

Was sind das denn noch für Verfahren?
Da geben sicher diejenigen gerne Auskunft, die diese Verfahren angestrengt haben. Ich verstehe wirklich, dass es eine reizvolle Vorstellung ist, zu unterstellen, im »ZDF Magazin Royale« säßen komplett irre Kettensägenjongleure, die leichtfertig mal eben so was raushauen und anschließend sagen: Haha, sorry, doch nicht, das war doch bloß Blödsinn. Ich bin ein ernstzunehmender Clown, kein windiger Fernsehphilosoph! Und spreche auch für meine Kolleginnen und Kollegen, wenn ich versichere: Jeder Sendungstext wird über viele Wochen vorbereitet, geschliffen, abgewogen und bis ins letzte Detail, jede Formulierung, jeden Witz, geprüft - natürlich auch juristisch. Improvisiert wird im Podcast, nicht hier.

Nehmen wir den Fall des früheren Chefs des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm. Sie warfen ihm in einer Sendung vor einem Jahr Nähe zu einem Cyberverein mit Kontakten zum russischen Geheimdienst vor - das Bundesinnenministerium leitete aber kein Disziplinarverfahren ein. Trotzdem wurde Schönbohm versetzt.
Ich bin nicht das Bundesinnenministerium. Unter anderem den Cyber-Sicherheitsrat e.V., der von Herrn Schönbohm mitgegründet wurde und zu dem es ihm unserer Ansicht nach an Distanz fehlte, haben wir vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs neu bewertet. Wir haben uns auf bestehende Recherchen von »Zeit« und dem RBB-Magazin »Kontraste« gestützt und mit unseren eigenen Recherchen verbunden. Was danach im Bundesinnenministerium vor sich ging, entzieht sich nun wirklich unserer Verantwortung.

Finden Sie es richtig, dass er gehen musste?
Wir sind weiterhin der Überzeugung, dass es begründete Zweifel an seiner Kompetenz gab und gibt. Unsere Recherche steht - und nein, wir haben keine falschen Behauptungen oder unwahre Vorwürfe erhoben. Unsere Recherche ist nicht inhaltlich widerlegt worden oder auch nur presserechtlich zu beanstanden. Man kann sich fragen, ob das Bundesinnenministerium mit seiner Abberufung richtig gehandelt hat. Aber das müssen doch andere beantworten, nicht wir.

Der Vorwurf, den Schönbohm Ihnen macht, ist zusammengefasst der des Rufmords.
Gut, dieser Vorwurf kommt jetzt knapp ein Jahr, nachdem unsere Sendung ausgestrahlt worden ist. Fakt ist: In unserer Sendung ist nichts drin, was nicht den Tatsachen entspricht.

Kann es nicht problematisch sein, dass Sie Ihre Kritik an bestimmten Missständen oder Systemen an einzelnen Personen aufziehen?
Klar, es ist immer die Gefahr, dass sich so eine Personalisierung ein Stück weit ungerecht anfühlen kann. Aber wenn man eine für wichtige Sicherheitsfragen zuständige Bundesbehörde leitet, muss man schon damit rechnen, dass man mit scharfer kritischer Berichterstattung so dargestellt wird, wie man sich selbst nicht sieht.

Wie messen Sie eigentlich den Erfolg Ihrer Sendung »ZDF Magazin Royale«?
Erfolgreich ist eine Sendung, wenn wir bei der Abnahme der Sendung vor ihrer Ausstrahlung das Gefühl haben, dass es nicht langweilig ist, man vielleicht etwas lernt und alles auf einem erträglich hohen Niveau herausfordernd und lustig ist.

Gar nicht lustig fand das ZDF kürzlich einen Post auf X (früher Twitter) von Ihnen zu CDU-Chef Friedrich Merz. Der hatte die Union als »Alternative für Deutschland mit Substanz« bezeichnet, was Sie unter anderem zu dem Post inspirierte: »Keine Sorge, die Nazis mit Substanz wollen nach aktuellem Stand voraussichtlich nur auf kommunaler Ebene mit Nazis zusammenarbeiten«.
Wenn der Vorsitzende der größten deutschen Volkspartei seine Partei rhetorisch in die Nähe von Nazis rückt, indem er sagt: »Wir sind die Alternative für Deutschland mit Substanz«, dann ist es allein witzmechanisch schon keine große intellektuelle Verrenkung, das mal knackig in verständliche Sprache zu übersetzen. Wenn er nicht meinte, was er gesagt hat, was denn dann? Im Nachhinein haben sich einige Leute aus der CDU bei mir bedankt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit nach meinem Tweet nicht mehr bei den brandgefährlichen rhetorischen Experimenten von Herrn Merz lag, sondern sich alle über den fiesen Witz des gemeinen Clowns hermachen konnten. Gern geschehen.

Aber bei vielen Menschen dürfte nicht der Witz ankommen, sondern der Eindruck, dass Sie hier CDU und AfD gleichsetzen könnten.
Ich sag mal selbstkritisch: Vielleicht muss ich ein bisschen mehr erklären. Einerseits. Andererseits, ist es wirklich mein Job, mich zu erklären?

Das ZDF jedenfalls hat sich distanziert von Ihrem Post.
Es ist nicht das erste Mal, dass das ZDF einen Witz bewusst verletzend findet. Das respektiere ich und kann ich nachvollziehen. Ich habe mich in der Vergangenheit ja auch das ein oder andere Mal von meinem geliebten Heimatsender distanziert, allerdings ohne das direkt an die große Glocke zu hängen. Das ZDF ist eine tolle, pluralistische Struktur, ein orangener Riese, in dem sowohl Andrea Kiewel, Giovanni Zarrella, Markus Lanz, Richard David Precht als auch der Frechdachs Jan Böhmermann und seine verrückte Outlaw-Rockertruppe aus Köln-Ehrenfeld ein Zuhause finden können. Gelebte Vielfalt von Perspektiven und Meinungen, das ist doch unser Auftrag.

Ist der Witz das Vehikel, um die Leute dazu zu bekommen, sich mit ernsten Themen zu beschäftigen?
Natürlich ist es eine Frage der Ansprache. Wie betreibt man Aufklärung so humorvoll, dass sie auch ihren Adressaten findet? Das verhandeln wir hier jeden Tag neu. Wir sind natürlich nicht die einzigen, die das machen. Es gibt die »heute show«. Anja Reschke hat eine hervorragende Sendung. Carolin Kebekus bearbeitet leidenschaftlich komplexe Themen mit Unterhaltung. Gegenwart breit und nachvollziehbar zu bearbeiten, das ist doch ein großer, wichtiger Spaß. Das hat nicht mal was mit Haltung zu tun.

»Haltung zeigen kostet gar nichts« - sagt Harald Schmidt.
Genial! Was kostet denn keine Haltung zeigen?

Hat Sie das kürzlich im Netz verbreitete Foto von ihm mit Hans-Georg Maaßen und Matthias Matussek enttäuscht?
Ich finde es enttäuschend, dass Hans-Georg Maaßen in solch eine Gesellschaft abgerutscht ist.

Was haben Sie Harald Schmidt zu verdanken?
Er ist ein wahnsinnig toller, disziplinierter, charmanter, liebenswerter, tief gläubiger und blitzgescheiter Mensch, der das Licht der Bühne und die öffentliche Aufmerksamkeit zum Leben braucht. Er kann gönnen und hat den Shownachwuchs immer selbstlos gefördert, unterstützt und stand uns mit Rat und Tat zur Seite. Ich erinnere mich sehr gerne zurück an die spannenden Redaktionskonferenzen mit seinen stundenlangen Monologen, diese göttlichen Lästereien! Ich wünschte, es gäbe einen Sender, der den Mut hat, ihm endlich wieder eine tägliche Late-Night-Show zu geben.

Berlin

Neue Nationalgalerie zeigt, wie Raubkunst erkannt wird

Von Salvador Dalí bis René Magritte: Die Neue Nationalgalerie zeigt 26 Werke von berühmten Surrealisten. Doch die Ausstellung hat einen weiteren Schwerpunkt

von Daniel Zander  17.10.2025

Theater

K. wie Kafka wie Kosky

Der Opernregisseur feiert den Schriftsteller auf Jiddisch – mit Musik und Gesang im Berliner Ensemble

von Christoph Schulte, Eva Lezzi  17.10.2025

Frankfurter Buchmesse

Schriftsteller auf dem Weg zum Frieden

Israelische Autoren lesen an einem Stand, der ziemlich versteckt wirkt – Eindrücke aus Halle 6.0

von Eugen El  17.10.2025

Kino

So beklemmend wie genial

Mit dem Film »Das Verschwinden des Josef Mengele« hat Kirill Serebrennikow ein Meisterwerk gedreht, das kaum zu ertragen ist

von Maria Ossowski  17.10.2025

Meinung

Entfremdete Heimat

Die antisemitischen Zwischenfälle auf deutschen Straßen sind alarmierend. Das hat auch mit der oftmals dämonisierenden Berichterstattung über Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas zu tun

von Philipp Peyman Engel  16.10.2025

Esther Abrami

Die Klassik-Influencerin

Das jüngste Album der Französin ist eine Hommage an 14 Komponistinnen – von Hildegard von Bingen bis Miley Cyrus

von Christine Schmitt  16.10.2025

Berlin

Jüdisches Museum zeichnet Amy Gutmann und Daniel Zajfman aus

Die Institution ehrt die frühere US-Botschafterin und den Physiker für Verdienste um Verständigung und Toleranz

 16.10.2025

Nachruf

Vom Hilfsarbeiter zum Bestseller-Autor

Der Tscheche Ivan Klima machte spät Karriere – und half während der sowjetischen Besatzung anderen oppositionellen Schriftstellern

von Kilian Kirchgeßner  16.10.2025

Kulturkolumne

Hoffnung ist das Ding mit Federn

Niemand weiß, was nach dem Ende des Krieges passieren wird. Aber wer hätte zu hoffen gewagt, dass in diesen Zeiten noch ein Tag mit einem Lächeln beginnen kann?

von Sophie Albers Ben Chamo  16.10.2025