Nachruf

Künstlerin aus eigenem Recht

Suchte nie das Rampenlicht: Teofila Reich-Ranicki sel.A. Foto: cinetext

Als »die Frau an seiner Seite« ist Teofila Reich-Ranicki fast stereotyp immer wieder in den Medien charakterisiert worden. Und als »Holocaust-Überlebende«. Beides stimmte. Und wurde ihr dennoch nicht gerecht.

Ja, sie war die Frau an Marcel Reich-Ranickis Seite, seit sie sich im Januar 1940 kennengelernt hatten, beide damals 19 Jahre alt. Das war im Warschauer Ghetto, nachdem Teofila Langnas’ Vater sich umgebracht hatte. Die Demütigungen durch die Deutschen, die Enteignung seiner Firma - das war für den erfolgreichen Unternehmer zu viel gewesen. Dass die Tochter nicht der Mordmaschinerie der Nazis zum Opfer fiel, verdankte sie auch ihrem Marcel, den sie zwei Jahre später heiratete.

Rampenlicht Gemeinsam flüchteten die beiden 1943 aus dem Ghetto, kurz bevor sie nach Treblinka deportiert werden sollten. Gemeinsam überlebten sie versteckt bei christlichen Polen. Gemeinsam bauten sie sich nach der Befreiung ein neues Leben auf, erst in Polen, ab 1958 in der Bundesrepublik. Marcel Reich-Ranicki wurde hier als Literaturkritiker ein Star. Seine Frau, die er zärtlich »Tosia« nannte, kannten nur Freunde aus dem Literaturbetrieb. So wollte sie es. Das Rampenlicht hat Teofila Reich-Ranicki nie gesucht.

Der breiteren Öffentlichkeit wurde ihre Existenz erst durch die Memoiren ihres Mannes bewusst, die 1999 erschienen und ein – später auch fürs Fernsehen verfilmter – Bestseller wurden. Jetzt entdeckten die Medien auch, dass Teofila Reich-Ranicki nicht bloße Ehefrau war, sondern auch eine Künstlerin aus eigenem Recht.

Ghettobilder Schon als Kind war ihr zeichnerisches Talent aufgefallen. Grafikerin und Illustratorin hatte sie werden wollen, bevor der Einmarsch der Wehrmacht in Polen ihr Leben aus der Bahn warf. Welches Talent sie hatte, davon zeugten ihre Bilder aus dem Warschauer Ghetto, die nach 1999 erstmals ausgestellt und später in Buchform veröffentlicht wurden. Zu sehen waren dort Leidensszenen aus dem von den Nazis zwangseingerichteten »jüdischen Wohnbezirk«, aber auch Opernszenen aus »Carmen« und »Tosca« sowie 56 Gedichte aus Erich Kästners »Lyrischer Hausapotheke«, die sie für Marcel von Hand abgeschrieben und illustriert hatte.

Kunst und Kultur waren für Teofila Reich-Ranicki ein Lebenselixier genauso wie für ihren Mann. Nach der Befreiung hatte sie ursprünglich ihre künstlerische Tätigkeit wieder aufnehmen wollen. Doch sie hatte dazu nicht die Kraft. Zu tief waren die seelischen Wunden, die die Schoa geschlagen hatte. Stattdessen arbeitete sie als Journalistin und literarische Übersetzerin, war die hochgebildete Partnerin ihres Mannes – nicht seine Muse, sondern sein Gegenüber auf Augenhöhe. Die Frau an seiner Seite, ja - aber auch er der Mann an der ihren.

Am 29. April ist Teofila Reich-Ranicki 91-jährig in Frankfurt/Main gestorben.

Berlin

Erste Ausstellung über den Architekten Ossip Klarwein

Präsentiert werden mehr als 100 Entwürfe und Modelle, darunter ikonische Bauten des 1933 nach Palästina geflohenen jüdischen Architekten

 17.06.2025

Nachruf

Chronist einer ganzen Epoche

Michel Bergmann war ein Schriftsteller, der viele Genres beherrschte

von Ellen Presser  17.06.2025

Los Angeles

Neues Album von Haim: »Manchmal muss man loslassen«

Auf ihrem vierten Album singen die Haim-Schwestern von Trennung, Abschied und Neuanfang. Dabei betritt das Trio mit beinahe jedem Song ein anderes musikalisches Terrain

von Philip Dethlefs  17.06.2025

Diskurs

»Die Erinnerungsrepublik Deutschland ist zu Ende«

Auszüge aus der Heidelberger Hochschulrede des Grünen-Politikers Sergey Lagodinsky

 16.06.2025

Literatur

Michel Bergmann ist tot

Der jüdische Schriftsteller starb im Alter von 80 Jahren

 17.06.2025 Aktualisiert

Taormina Film Fest

Michael Douglas entschuldigt sich für Politik der US-Regierung

Der Darsteller erhält von Iris Knobloch eine Ehrung für sein Lebenswerk. Die Vergabezeremonie in Sizilien nutzt er für Kritik an seinem Land

 16.06.2025

Fernsehen

Luftraum in Israel gesperrt: »Fernsehgarten« ohne Kiewel

Die Moderatorin lebt in Tel Aviv - doch zu ihrer Jubiläumssendung konnte sie nicht anreisen

 15.06.2025

Leo Baeck Institut

»Die Wissenschaft ist keine Oase«

Michael Brenner über das vor 70 Jahren gegründete Archiv der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, freie Forschung und bedrohte Demokratie

von Ayala Goldmann  15.06.2025

Kunst

Öffnet die Herzen!

Die Israelin Bracha Lichtenberg Ettinger fordert mit einer intensiven Einzelschau in Düsseldorf die Besucher heraus

von Eugen El  15.06.2025