Film

Kino mit Auftrag

Robert Stadlober (l.) als Goebbels und Fritz Karl als Hitler Foto: © Zeitsprung, SWR, Wild Bunch, Foto: Stephan Pick

»Wissen Sie, wer das ist?« Die Frage erscheint gleich zu Beginn, zum Mitschnitt eines Mannes, der ruhig und kundig von der Kampffähigkeit von Panzern im Winter spricht. Die Antwort: Adolf Hitler. Das einzige überlieferte, 1942 heimlich aufgezeichnete Privatgespräch Hitlers bildet einen verblüffenden Auftakt und reißt Joachim Langs Ansinnen an: Er will hinter die Kulissen der Nazis schauen, will ihre perfiden Manipulationsstrategien und ihren Kampf um die Macht der Bilder transparent machen.

Lang betreibt offensiv eine Kinematografie der Aufklärung. Sein Film wolle, so schiebt er voran, durch Historisches auch »die Hetzer von heute entlarven«. Der Regisseur erzählt nach eigenem Drehbuch, fußend auf umfangreichen Recherchen, vom Aufstieg und Einfluss von Hitlers Propagandachef Joseph Goebbels.

Robert Stadlober spielt Goebbels mit rheinischem Dialekt

Robert Stadlober spielt ihn mit rheinischem Dialekt und leichtem Humpeln als kühlen karrieristischen Narzissten. Wenn sich Hitlers Helfer zum Essen beim Führer treffen, buhlt man um dessen Gunst. Der Film thematisiert auch Goebbelsʼ Verhältnis zu seiner Frau Magda (Franziska Weisz) und seinen Liebschaften. »Ich plane einen Krieg, und mein Propagandaminister ist verliebt«, sagt Hitler (Fritz Karl) einmal, und in der Menschlichkeit von Langs Nazis liegt das Monströse.

Führer und Verführer springt in Spotlights durch die Jahre 1938 bis 1945 und blickt aus Goebbelsʼ Augen auf das Geschehen. Er war es, der den Führermythos in die Welt brachte, der die Bilder und damit die Menschen manipulierte. Nach dem »Anschluss« Österreichs etwa bereitete er Hitler einen Empfang mit Millionen jubelnden Berlinern in der Hauptstadt. Sogar die scheinbar spontane Übergabe von Blumen durch ein Mädchen wurde zuvor geübt. Zu sehen ist im Film auch die Premiere von Leni Riefenstahl Propagandafilm Olympia. »Was wahr ist, bestimme ich«, raunt Goebbels einmal.

Dass Stadlober zu Beginn fast nur in Zitaten zu sprechen scheint, lässt an Langs Metafilm Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm denken. In dem Film, in dem er Teile von Brechts Dreigroschenoper verfilmte und von dem Prozess um die Leinwandadaption von 1931 erzählte, lässt er den Autor ausschließlich rezitieren. Doch was dort Brecht ein Stück weit zu einem Abziehbild degradierte, steht in Führer und Verführer im Dienste des Aufklärungsauftrags, weil gerade dadurch die – zwar sachliche – Gemachtheit seines eigenen Films thematisiert wird.

Montage verschiedener kinematografischer Ebenen

Vollends auf geht Langs Konzept, wenn er verschiedene kinematografische Ebenen montiert. Eine starke Sequenz etwa ist, als Goebbels sich auf seine berüchtigte Rede im Berliner Sportpalast 1943 vorbereitet, in der er das Volk nach der Niederlage in Stalingrad auf den »totalen Krieg« einschwört. Zu sehen sind Ausschnitte der tatsächlichen Rede, vom filmischen Reenactment und den Proben von Stadlobers Goebbels vor dem Spiegel.

Immer wieder bricht die Realität herein, wird die aus Täterperspektive erzählte Narration durch die Erinnerungen von Überlebenden und Zeitzeugen sowie dokumentarische Bilder, auch von Leichen oder Erschießungen, Realität.

Dass Lang Drastisches nicht scheut, provoziert Fragen nach der Moral der Darstellung und den Grenzen des Zeigbaren. Dennoch ist, mit Blick auf den Rechtsruck vielerorts, auf demokratiefeindliche Parteien wie die AfD oder Antidemokraten wie Donald Trump, mit Blick darauf, dass Menschen digitalen Demagogen verfallen oder sich eigene krude Wirklichkeiten aufbauen, Führer und Verführer ein wichtiger Film zur richtigen Zeit.

Literatur

John Irvings »Königin Esther«: Mythos oder Mensch?

Eigentlich wollte er keine langen Romane mehr schreiben. Jetzt kehrt er zurück mit einem Werk über jüdische Identität und Antisemitismus

von Taylan Gökalp  18.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  17.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  17.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

Miss-Universe-Show

Miss Israel erhält Todesdrohungen nach angeblichem Seitenblick

Auch prominente Israelis sind immer öfter mit Judenhass konfrontiert. Diesmal trifft es Melanie Shiraz in Thailand

 17.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  17.11.2025

Jubiläum

Weltliteratur aus dem Exil: Vor 125 Jahren wurde Anna Seghers geboren

Ihre Romane über den Nationalsozialismus machten Anna Seghers weltberühmt. In ihrer westdeutschen Heimat galt die Schriftstellerin aus Mainz jedoch lange Zeit fast als Unperson, denn nach 1945 hatte sie sich bewusst für den Osten entschieden

von Karsten Packeiser  17.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025