Interview

»Jeder hat sein Bündel zu tragen«

Dani Levy über Verlierer, eine höhere Ordnung und seinen neuen Kinofilm

von Philipp Peyman Engel  23.08.2010 14:03 Uhr

Der Regisseur Dani Levy Foto: Stephan Pramme

Dani Levy über Verlierer, eine höhere Ordnung und seinen neuen Kinofilm

von Philipp Peyman Engel  23.08.2010 14:03 Uhr

Herr Levy, warum ist das Leben, wie es in Ihrem neuen Film heißt zu lang?
Das Leben ist zu lang, weil man zu viel Zeit vergeudet und seine Möglichkeiten nicht nutzt. Man könnte jedoch auch sagen: Das Leben ist nicht zu lang, aber die Tage sind zu kurz. In beiden Fällen ist das Leben Tag für Tag komplex und anspruchsvoll.

So wie für Alfi Seliger, die Hauptfigur Ihres Films. Der ist ein Nebbich, wie er im Buche steht. Was reizt Sie an diesen sympathischen, aber ganz und gar lebensuntüchtigen Charakteren, wie sie in Ihren Werken immer wieder zu sehen sind?
Nun, die wirklich legendären und starken Komödienfiguren sind immer Verlierer. Wir identifizieren uns mit ihrem vergeblichen Tun, weil auch wir tagtäglich kämpfen müssen. Jeder hat sein eigenes Bündel zu tragen, jeder von uns hat das, was ich Verliererschatten nenne. Genau dieser Blick auf die Schattenseite interessiert mich, auf bestimmte Art und Weise tragen doch viele von uns einen Nebbich in sich.

Inwiefern steckt auch in Dani Levy ein Nebbich?
Es gibt in meinem Leben immer wieder Phasen existenzieller Verunsicherungen. Ich lebe in einem Spannungsverhältnis zwischen dem, was ich mir wünsche, und dem, was ich tatsächlich erreiche. Ich fühle mich gelegentlich ungemein bedeutungslos, manchmal habe ich das Gefühl, ich bin am falschen Ort zur falschen Zeit. Oder im falschen Film. Ich ziehe aber aus diesen Zweifeln und inneren Kämpfen mein künstlerisches oder kreatives Potenzial.

Ist diese Sicht auf das Leben nicht geradezu kennzeichnend für viele jüdische Künstler?
Es ist kein exklusiv jüdischer Blick, aber der jüdische Film oder die jüdische Literatur ist durchdrungen von der Verliererperspektive. Zudem haben Juden einen natürlichen Zweifel an der Realität. Wir misstrauen dem, was wir vorgegaukelt bekommen. Bin ich wirklich da, wo ich denke, dass ich bin, oder bin ich bloß eine kleine Ameise auf einem riesigen Blatt, über das hinaus noch eine ganz andere Realität existiert?

Die gleichen Fragen stellt sich auch Alfi, als er ahnt, dass er eine Figur in einem Film, also nicht mehr als die Marionette seines Regisseurs ist.
Alfi erkennt, dass sein Schicksal vorbestimmt ist und legt sich mit seinem Schöpfer an. Er nimmt sein Leben in die eigenen Hände. Ich befürchte, das ist das Einzige, was uns übrig bleibt, wenn es uns nicht gut geht. Die Vorstellung, dass wir unsere eigenen Fäden in der Hand haben, finde ich tröstend. Trotzdem glaube ich an eine höhere Ordnung. Wir wissen nicht alles. Mein Ziel war es, einen Film zu drehen, der das Publikum kitzelt und aus seiner passiven Konsumhaltung rausholt.

Film als Axt für das gefrorene Meer in uns?
Sehr poetisch. Schön, wenn Film etwas in uns auslöst.

Mit dem Regisseur sprach Philipp Engel.

Aufgegabelt

Lachs-Sashimi

Rezepte und Leckeres

 04.06.2023

Interview

»Das Misstrauen bleibt«

Stella Leder über Kulturstaatsministerin Claudia Roth, Antisemitismus im Kulturbetrieb und fehlende Empathie gegenüber Jüdinnen und Juden in der Kunstwelt

von Joshua Schultheis  04.06.2023

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  02.06.2023

Aryeh Nussbaum Cohen

König David aus Brooklyn

Schon mit 14 sprang er als Kantor an den Hohen Feiertagen ein – jetzt singt der Countertenor in Händels Oratorium »Saul« in Berlin

von Ayala Goldmann  02.06.2023

Billy Joel

Der »Piano Man« zieht aus

Der Musiker beendet seine seit zehn Jahren andauernde Konzertserie im New Yorker Madison Square Garden

von Christina Horsten  02.06.2023

Düsseldorf

Paul-Spiegel-Filmfestival gestartet

Das Programm soll »ein realistisches Bild des Judentums und die Vielfalt der jüdischen Identitäten« vermitteln

 01.06.2023

Hard Rock

»Kiss«-Sänger: Ähnlichkeit mit SS-Runen ist uns nicht aufgefallen

Das »Doppel-S« im Band-Logo sollte Blitze darstellen, so der jüdische Bandleader Gene Simmons

 31.05.2023

Geschichte

Porträt einer gescheiterten Idee

Der Historiker Gennady Estraikh über Birobidschan, eine jüdische Heimat in Sibirien

von Alexander Kluy  31.05.2023

Analyse

»Rough Diamonds« auf Netflix feiert große Erfolge

Warum Serien über ultraorthodoxe Juden so großen Anklang finden

von Christiane Laudage  30.05.2023