Janina David

Jähes Ende einer Kindheit

Die Schriftstellerin Janina David Foto: imago images/teutopress

Janina David

Jähes Ende einer Kindheit

Sie ist eine der wenigen Überlebenden des Warschauer Ghettos. Jetzt wurde die polnisch-britische Autorin 90 Jahre alt

von Birgitta Negel-Täuber  19.03.2020 10:08 Uhr

Janina verlebt unter Aufsicht ihres Kindermädchens die Sommerferien auf dem Lande. Es ist ein Idyll, das die neunjährige Ich-Erzählerin heraufbeschwört – endlose sonnendurchflutete Tage, Ruhe und Frieden. Ort- und Zeitangabe reichen indes, den Leser auf eine finstere Zukunft einzustimmen: Man schreibt das Jahr 1939, Janina David lebt in Polen, und sie ist Jüdin.

Dass sie überlebt hat, ist nicht selbstverständlich. Heute feiert die polnisch-britische Autorin ihren 90. Geburtstag.

trilogie Bekannt wurde Janina David durch ihre Trilogie Ein Stück Himmel, Ein Stück Erde und Ein Stück Fremde. Darin schildert sie, wie sie den Holocaust überlebte und nach langer Irrfahrt in Australien ankam. In Deutschland wurden die Bücher als Jugendromane rezipiert; breite Aufmerksamkeit fanden sie vor allem durch ihre Verfilmung für das deutsche Fernsehen. Unter der Regie von Franz Peter Wirth, mit Dana Vavrova in der Hauptrolle, zeigte der WDR 1982 in acht Teilen das dramatische, schreckliche Schicksal Janinas bis Kriegsende.

Geboren wurde die Autorin als Janina Dawidowicz in Kalisz, einer polnischen Industriestadt, die bei Kriegsbeginn nahe der deutschen Grenze lag. Janina war das einzige Kind einer wohlhabenden Familie, überbehütet und intelligent, sensibel, bildhübsch und selbstbewusst.

Ihre Kindheit endet jäh, als die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschiert. An Diskriminierung waren die Juden auch vorher schon gewöhnt, jetzt werden sie verfolgt. Die Familie muss ihr Haus verlassen, der Vater taucht unter, der Rest der Familie flieht in Panik nach Warschau. Aber dort wachsen drei Meter hohe Ghetto-Mauern in die Höhe, bedeckt mit Glasscherben.

ghettoleben Janina Davids Schilderungen des Ghettolebens sind gleichermaßen schrecklich wie bizarr: Auf der Straße liegen Leichen von Verhungerten, über die die Begüterten hinwegsteigen auf dem Weg ins Restaurant. Janina berichtet von einem Mädchen, das von ihrer Gouvernante zum Spielplatz begleitet wird und ausschließlich Französisch spricht; andere Kinder spielen im Hinterhof Erschießen und Vergasen.

Janina David erging es wie vielen anderen Überlebenden des Holocaust: Gepeinigt von Schuldgefühlen und Trauer konnte sie lange nicht über ihre Erlebnisse sprechen.

Janinas Vater Marek wird Polizist beim jüdischen Ordnungsdienst im Ghetto – eine anrüchige Tätigkeit, die für die Familie aber einen gewissen Schutz darstellt. Als Angehörige eines Ghettopolizisten bleiben sie – anders als ihre Verwandten – vorläufig von Deportationen verschont.

Mareks Beziehungen haben auch andere Vorteile: Seine Ex-Freundin Lydia Grabowski, eine Christin, lädt Janina immer wieder zu sich ein – die Ausflüge auf »die andere Seite der Mauer« sind Höhepunkte für das Mädchen. Im September 1942 entscheiden die Eltern, dass Janina das Ghetto verlassen soll, um sich bei Lydias Familie zu verstecken.

arbeitstransport Mit einem Arbeitstransport wird das Mädchen aus dem Ghetto geschmuggelt, im Mai 1943 hört sie zum letzten Mal von ihren Eltern. Ihr Vater stirbt vermutlich im KZ Majdanek, die Spur der Mutter verliert sich im Nichts.

Lydias Mann besorgt ihr falsche Papiere und bringt sie damit in einer Klosterschule außerhalb von Warschau unter. Zwei Jahre lebt Janina erst hier, dann in einem anderen Kloster, erlebt den Warschauer Aufstand, schließt Freundschaften, findet Verbündete unter den Nonnen und lässt sich am Ende sogar taufen. Als im Januar 1945 die Rote Armee einrückt, ist für Janina der Krieg zu Ende.

Janina David erging es wie vielen anderen Überlebenden des Holocaust: Gepeinigt von Schuldgefühlen und Trauer konnte sie lange nicht über ihre Erlebnisse sprechen. Nach dem Krieg kehrte sie zurück nach Kalisz. Dort wartete sie über ein Jahr lang auf ihre Eltern und erlebte die Judenfeindlichkeit ihrer polnischen Mitbürger – der Antisemitismus hatte den Krieg überlebt.

australien Am Ende gab sie auf und ging mit ihrem Onkel, dem einzigen nahen Verwandten, der überlebt hatte, nach Paris und von da aus nach Australien.

Das Heimweh nach Europa brachte sie zurück. Seit 1958 lebt sie in London, zuerst als Sozialarbeiterin, später als Autorin. Hier erst schrieb sie ihre Erlebnisse auf – auf Englisch, weil »ich das in meiner Muttersprache nicht hätte niederschreiben können«.

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Todesursache steht fest

Ihre multiplen Verletzungen seien durch Gewalteinwirkung entstanden, so die Gerichtsmedizin

 18.12.2025