Interview

»Irgendwann fällt die Schamgrenze«

Spürt Raubkunst auf: Jasmin Hartmann Foto: pr

Interview

»Irgendwann fällt die Schamgrenze«

Jasmin Hartmann über Provenienzforschung und Fahndung nach Raubkunst

von Hans-Ulrich Dillmann  29.06.2022 09:12 Uhr

Frau Hartmann, Sie sind Raubkunstjägerin. Treibt Ihre Fahndungsarbeit in den Depots Museumsdirektorinnen und Chefs von Archiven und Bibliotheken die Schweißperlen auf die Stirn?
Das glaube und hoffe ich nicht. Unsere Arbeit ist eher unspektakulärer. Ich sehe unsere Arbeit als Angebot, mit unserer wissenschaftlichen Hilfe die Herkunft von Kunst- und Bibliotheksbeständen aus der NS- oder Kolonialzeit aufzuklären. Aber wir recherchieren nicht nur Kunst von Verfolgten, sondern auch deren Bücher sowie Kunstgewerbe- und Alltagsgegenstände.

Denken Sie, dass es den öffentlichen Einrichtungen an Problembewusstsein und am Willen fehlt, ihre Bestände kritisch zu hinterfragen?
Es fehlt zumeist an Personal, an der finanziellen Ausstattung oder an Know-how, um Raubkunst zu identifizieren. Das Überprüfen der Inventarbücher als Nachweis des Eigentums in den Museen ist dazu essenziell. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass Inventare aus verschiedenen Gründen verloren oder unvollständig sind.

Gibt es Schätzungen, wie viel Raubgut aus der NS-Zeit und aus anderen Epochen sich in Museen, Bibliotheken und Archiven befindet?
Selbst vorbildlich geführte Einrichtungen verfügen über Bestände, die nicht oder unvollständig dokumentiert worden sind. Entsprechend ist es schwierig, die Zahl der Objekte in den Sammlungen zu bestimmen, geschweige denn, dass diese dann zeitlich zum Beispiel für die Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 oder für andere Epochen einzugrenzen sind.

Werden Sie künftig in den öffentlichen Einrichtungen auftauchen und deren Depots durchsuchen?
Nein. Derzeit arbeiten wir an einem Konzept, Provenienzforschung flächendeckend und nachhaltig zu etablieren. Wir können dazu bereits auf erste Daten zurückgreifen. Insgesamt gibt es in Nordrhein-Westfalen rund 3000 öffentliche Einrichtungen, wie Museen, Bibliotheken und Archive. Und wir sind auch Ansprechpartner für den Kunsthandel und Privathaushalte. Wir sind nicht die Kunst- oder Raubgutfahndung. Aber wir werden städteweise vorgehen und Stichproben (sogenannte Erstchecks) machen: uns anschauen, was in Sachen Provenienzforschung geschehen ist oder nicht, und wo wir helfen können. Es ist eine Spurensuche in Quellen und an Objekten, wie Etiketten, Beschriftungen, Zahlenfolgen von Auktionsnummern, die uns Hinweise geben, wem diese Objekte einmal gehört haben oder durch welche Hände diese gegangen sind.

Haben Sie denn überhaupt eine Lizenz zum Durchsuchen?
Nein, aber bisher stehen uns alle Türen offen. Und irgendwann fällt auch die Schamgrenze, und wir erfahren, dass sich möglicherweise Kunstwerke mit zweifelhafter Provenienz in den Museen befinden. In NRW wird künftig Provenienzforschung systematisch betrieben – und nicht nur bei Verdachtsfällen.

Mit der Leiterin der Koordinations­stelle für Provenienzforschung in Nordrhein-Westfalen (KPF.NRW) sprach Hans-Ulrich Dillmann.

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Süchtig nach Ruhamas Essen oder Zaubern müsste man können

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025

Jubiläum

Eine faszinierende Erzählerin

Anna Seghersʼ Romane machten sie weltberühmt. In ihrer westdeutschen Heimat galt die Schriftstellerin aus Mainz jedoch lange Zeit fast als Unperson, denn nach 1945 hatte sie sich bewusst für den Osten entschieden

von Karsten Packeiser  18.11.2025