Gespräch

»Im Film des Denken zeigen«

»Ich glaube, dass ich ihr recht nahegekommen bin«: Barbara Sukowa als Hannah Arendt Foto: ddp

Frau Sukowa, was war Ihr erster Gedanke, als Margarethe von Trotta Ihnen die Rolle Hannah Arendts in ihrem Biopic anbot?
Ich fühlte erst mal Furcht und zwar aus verschiedenen Gründen. Hannah Arendt war eine intellektuelle Gigantin. Es ergaben sich viele Fragen. Wie soll man eine Intellektuelle im Film darstellen, eine Frau, deren Thema das Denken ist. Und zwar auf eine Weise, dass das nicht langweilig wird. Hinzu kam, dass Hannah Arendt so viel intellektueller war, als ich es bin. Sie hat ihr ganzes Leben gedacht, studiert und geschrieben. Ich bin Schauspielerin, habe Kinder und führe ein ganz anderes Leben. Eine weitere Furcht resultierte aus der Tatsache, dass da zwei Frauen einen Film über eine deutsche Jüdin und den Eichmann-Prozess machen wollen. Ich hatte Angst vor dem Stoff, der immer noch sehr kontrovers diskutiert wird. Der Film sollte ursprünglich »Kontroverse« heißen.

Hannah Arendt war eine starke Raucherin. Wie viel mussten Sie im Film rauchen?
(lacht) Das war mein kleinstes Problem. Dafür muss man nicht viel können, nur wissen, wie man raucht. Da ich mal Raucherin war, gab es in dieser Hinsicht keine Probleme. Das einzige Problem war, dass ich wieder Lust hatte zu rauchen.

Im Unterschied zu »Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen« spielen Sie in »Hannah Arendt« eine Person, die fast unsere Zeitgenossin ist. Wie sehr wollten Sie Arendts Äußeres nachahmen?
Bei Hildegard von Bingen konnte keiner nachprüfen, was ich da gemacht habe. Was Hannah Arendt angeht, so leben noch viele Menschen, die sie kennen. Es gibt genügend Filmmaterial über sie. Ich habe Günter Gaus’ Interview mit ihr sehr genau studiert und achtete dabei auf Arendts Manierismen und ihre ganze Art, sich zu geben. Ich glaube, dass ich ihr recht nahegekommen bin. Am Anfang haben wir mit Gesichtsprothesen gearbeitet. Dann entschieden wir uns, ihr Äußeres nicht zu imitieren.

Haben Sie dennoch bestimmte Eigenarten Arendts übernommen?
Ich habe mit einer etwas tieferen Stimme gesprochen. Außerdem habe ich ihren starken deutschen Akzent übernommen. So wie im Film spreche ich normalerweise nicht Englisch. Außerdem habe ich die Zigarette wie sie gehalten. Auch ihre Art, Deutsch zu sprechen, habe ich imitiert. Bestimmte Wörter klangen bei ihr wie aus dem Ostpreußischen. Zum Beispiel sagte sie »wenijer« statt »weniger«. Diese Eigenheiten habe ich zwar übernommen, zugleich aber auch abgemildert. Wir wollten alles vermeiden, was den Zuschauer vom Wesentlichen ablenken könnte. Wir wollten zeigen, was Arendt denkt.

Haben Sie sich auch mit dem Eichmann-Prozess und den philosophischen Anschauungen Arendts, etwa ihrer Idee der »Banalität des Bösen«, beschäftigt?
Ich habe mich mein ganzes Erwachsenen-Leben mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Insofern war das für mich nichts Neues. Abgesehen davon habe ich sehr viel von Hannah Arendt gelesen. Um im Film das Denken zu zeigen, musste ich mich mit ihren Gedanken auseinandersetzen. Ich habe die Briefe gelesen, die sie an ihren Mann Heinrich Blücher, die Schriftstellerin Mary McCarthy, Karl Jaspers und Martin Heidegger geschrieben hat. Außerdem las ich, was sie gelesen hat. Vieles davon konnte ich allerdings nur überfliegen, weil ich nicht so viel Zeit hatte.

Stimmen Sie mit Arendts Aussagen über Eichmann überein, die Anlass zu heftiger Kritik waren?
Ihre Ausführungen über die Banalität des Bösen waren brillant. Nach diesem Buch musste man die Zeit, die Nationalsozialisten sowie die deutsche Bevölkerung anders sehen. Sie hat gesagt, dass Eichmann unfähig war zu denken. Mit dem Begriff des Denkens bezieht sie sich auf Sokrates. Demnach gibt es einen öffentlichen Raum des Denkens und das Denken mit sich selbst, was nichts anderes meint als das Gewissen. Eichmann hat so viele persönliche Züge aufgegeben, dass er nicht mehr gedacht hat. Er hatte kein Gewissen. Ich bin mir aber bis heute nicht sicher, ob er das nicht konnte oder nicht wollte. Oft steht hinter einem Nicht-Können ein Nicht-Wollen. Damit stand Eichmann beileibe nicht alleine da. Es gab Professoren und akademisch Gebildete, die die Rassentheorien geschrieben haben. Das waren sicher keine Menschen, die nicht denken konnten. Was Arendt meinte, war das Gewissen. Sie ging der Frage nach, ob Menschen mit sich leben können, wenn sie etwas Verwerfliches tun, oder nicht. Aus diesem Grund finde ich Hannah Arendt spannend. Das sind Fragen, die wir uns alle stellen müssen.

Sie leben wie Hannah Arendt in New York. Nur sind Sie freiwillig dort, während Hannah Arendt emigrieren musste. Trifft sich Arendts Einstellung zu New York mit Ihrer?
Es gibt durchaus Parallelen. In Ihren Schriften gibt es Schilderungen über New York, die sie 1948 geschrieben hat und die heute noch gelten. Sie schrieb auch viel über die Mentalität der Amerikaner, zum Beispiel, dass diese keine Muße hätten. Dem würde ich zustimmen (lacht).

Sie sagte, die USA seien das »Paradies«. Schwang da Ironie mit, oder war das aufrichtig gemeint?
Nein, das war aufrichtig. Das Land war für Arendt das Paradies. Zwar sah die soziale Situation alles andere als freiheitlich aus. Es gab die Diskriminierung von Schwarzen und andere soziale Unterdrückungsformen. Politisch herrschte dort aber Freiheit, und das empfand sie tatsächlich als »paradiesisch«.

Wie würde es Hannah Arendt finden, dass man einen Film über sie macht?
Hannah Arendt war mit ihren Freunden sehr offen, ansonsten hat sie ihr Privatleben sehr geschützt. Sie fände es aber wichtig, dass über ihre Ideen diskutiert wird. Sie glaubte, dass Theorien lebendig und menschlich werden, wenn sie unter Menschen kommen. Das hätte sie an »Hannah Arendt« gut gefunden. Ob sie es gut gefunden hätte, dass wir zeigen, wie sie ihren Mann küsst, das weiß ich nicht (lacht). Insgesamt glaube ich aber, dass sie mit dem Film einverstanden wäre.

Barbara Sukowa kam 1950 in Bremen zur Welt. Nach einer erfolgreichen Theaterkarriere wechselte sie für Fassbinders »Berlin Alexanderplatz« (1980) zum Fernsehen, wo sie seither in zahlreichen Produktionen zu sehen war. In den Filmen, welche die in New York lebende Schauspielerin seit den 80er-Jahren mit Margarethe von Trotta dreht – »Die Geduld der Rosa Luxemburg« (1986), »Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen« (2009) und jetzt in »Hannah Arendt«, der im Januar 2013 in die Kinos kommt –, spielt Sukowa starke Frauen, die ihre Werte und Ideale gegen ein feindliches Umfeld behaupten. Seit 1994 ist die Schauspielerin mit dem US-Künstler Robert Longo verheiratet. Das Paar hat einen gemeinsamen Sohn.

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